Wasser, Landwirtschaft, Industrie, Tiere und Wir
Am Montag, dem 18. Juni lud agrarinfo.ch im Berner GenerationenHaus zur Podiumsdiskussion «Wasser – Landwirtschaft, Industrie, Tiere und wir». Eigentlich war Gegenstand der Diskussion die Eidgenössische Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung», kurz Trinkwasserinitiative (Siehe Box und initiative-sauberes-trinkwasser.ch), die vom Bundesrat ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfohlen wurde und nun unverändert vor’s Stimmvolk kommt. Der etwas sperrige Titel der Veranstaltung sei, so Christine Hürlimann von agrarinfo.ch, so breit, wie das Themenspektrum, dass von der Trinkwasserinitiative abgedeckt werde.
Im wesentlichen setzt die Trinkwasserinitiative sich mit der Landwirtschaft, als einem der Hauptfaktoren für die Trinkwasserverunreinigung, auseinander. Innerhalb von wenigen Jahren kamen sechs die Landwirtschaft betreffende Volksinitiativen zustande. Ein deutliches Zeichen für das Unwohlsein der Bevölkerung angesichts der Industrialisierung der Landwirtschaft.
Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen sauberes Wasser und gesunde Lebensmittel, die Produzenten kostendeckende Preise, die Lebensmittelindustrie günstige Rohstoffe und der Einzelhandel möglichst grosse Margen dank niedrigen Einkaufspreisen. Trotz dieser scheinbaren Widersprüche: «Wir alle haben nur eine Erde und nur eine Zukunft», erklärte Christine Hürlimann. «Und wir wollen hier nach einem Gemeinsamen Nenner suchen. Es geht nicht um eine Lobby: es geht um unsere Ernährung und unsere Gesundheit. Schliesslich ist Wasser neben Luft der wichtigste Rohstoff, den wir zum leben brauchen.»
Das Podium war entsprechend bunt besetzt.
- Franziska Herren vom Verein «Sauberes Trinkwasser für Alle und die eigentliche Initiantin der Trinkwasserinitiative,
- Markus Ritter, CVP-Nationalrat, Präsident des Schweizer Bauernverbandes und selbst Biobauer (Bioknospe),
- Olivier Félix, vom Bundesamt für Landwirtschaft BLW, Leiter Fachbereich Nachhaltiger Pflanzenschutz,
- Sophie Michaud Gigon von der westschweizer Konsumentenorganisation Fédération romande des consommateurs FRC
- Dr. Urs Reinhard, Copräsident der Föderation Schweizer Lebensmittelindustrie
- Dr. Andreas Bosshard von der Organisation Vision Landwirtschaft und
- Hans Bieri von der Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft SVIL als Moderator.
Inhaltsverzeichnis
> Zu Beginn erläutert Franziska Herren, was die Trinkwasserinitiative eigentlich will
> Das sieht Markus Ritter freilich anders
> Olivier Félix verweist auf den Massnahmenplan des Bundesamtes für Landwirtschaft
> Sophie Michaud Gigon von der Konsumentenorganisation FRC relativiert
> Die Organisation «Vision Landwirtschaft» hat laut Dr. Andreas Bosshard noch keine Parole gefasst
> Die Lebensmittelindustrie produziert, was der Einzelhandel verlangt
> Gifte werden jetzt freigesetzt und verursachen 50 Jahre später grosse Probleme. Das will niemand.
Zu Beginn erläutert Franziska Herren, was die Trinkwasserinitiative eigentlich will
2000 Tonnen Pflanzenschutzmittel werden in der Schweiz jedes Jahr eingesetzt, 85-90% davon in der Landwirtschaft. Dennoch werden in der Schweiz noch 70% des Trinkwassers naturnah gewonnen und es darf ohne aufwändige Aufbereitung verteilt werden.
Da 80 Prozent des Trikwassers aus dem Grundwasser stammen, ist die Verunreinigung der Böden durch Pflanzenschutzmittel verheerend. Ausserdem würden durch den Einsatz von Pestiziden die Biodiversität beeinträchtigt, Nützlinge getötet. Aber statt den Pestizideinsatz einzuschränken, werden vom Bund im Bedarfsfall einfach die Grenzwerte erhöht.
Neben den Pestiziden verunreinigen vor allem Ammoniakverbindungen, Abfallprodukte aus der intensiven Tierhaltung, Böden und Wasser zusätzlich. Mit den Niederlanden verursacht die Schweiz in Europa die höchsten Ammoniakemissionen in Europa. Und es wird durch die industrielle Landwirtschaft soviel Fleisch produziert, dass 50 Prozent des Schlachtviehs und 70 Prozent des Geflügels mit Importfutter gezogen werden müssen. Zu diesem Zweck wurden 2017 die unglaubliche Menge von 1,2 Millionen Tonnen Futtermittel, im Wesentlichen Getreide oder Soya, importiert.
«Unsere Landwirtschaft», so Herren, «degeneriert zu einer bodenunabhängigen Industrie, die stark importabhängig ist.»
Ausserdem werden in der Fleischproduktion 38 Tonnen Anibiotika eingesetzt, die über die Gülle in die Böden und das Trinkwasser und Nahrungsmittel gelangen und für die lebensbedrohlichen Multiresistenten Erreger verantwortlich sind. Nach aktueller Einschätzung die grösste Gesundheitsgefährdung in der Schweiz. Wobei die Initiative nicht generell gegen die Behandlung kranker Tiere mit Antibiotika ist, sondern gegen die sogenannte präventive Antibiotikabeimischung ins Futter.
Alles das wäre laut Herren nicht notwendig und im übrigen nach geltendem Recht oft sogar illegal. Aber der Bund würde sich zu wenig um die Einhaltung der Vorschriften kümmern. Nach neueren Studien wäre die Welt durchaus mit ökologischer, bäuerlicher Landwirtschaft zu ernähren. Zumal auch die billig produzierten Lebensmittel durch ihren enormen Ressourcenverbrauch und die Umweltschäden unter dem Strich teurer zu stehen kommen, als biologisch hergestellte Nahrungsmittel.
«Die intensive Fleischproduktion und der Ressourcenverbrauch können so nicht weitergehen. Die Initiative will der Landwirtschaft ermöglichen, sich von zerstörerischen Produktionsmethoden zu befreien.» Dem Vorwurf, die Initiative würde wirtschaftliche Landwirtschaft unmöglich machen, hält sie entgegen: «Es gibt schon heute in der Schweiz zahlreiche und grosse Betriebe, die sich an die Richtlinien der Initiative halten und trotzdem gute Erträge erwirtschaften. Diese Betriebe zeigen uns den Weg in die Zukunft.»
Das sieht Markus Ritter freilich anders.
Der Bauernverband lehnt die Initiative wie der Bundesrat ab. «Gemäss dem Initiativtext dürfte ich als Biobauer keine Direktsubventionen mehr beziehen, weil ich von einem benachbarten Biobauern ein bisschen Heu zukaufe, weil ich selber zu wenig habe.» Das gleiche würde im passieren, wenn er weiterhin – von Bio-Knospe akzeptiert – Tonerde und Schwefel als Pflanzenschutzmitteleinsatz einsetzt. «Von Importfutter oder synthetischen Pestiziden, wie es jetzt heisst, sei keie Rede in der Initiative. Laut Initiativtext sollen nur noch Betriebe subventioniert werden die ihr eigenes Futter produzieren und keine Pflanzenschutzmittel einsetzen. Dabei gebe es mittlerweile unter den Schweizer Biobauern ein gut funktionierendes Netzwerk zur Verteilung der Futter- und Düngemittel. Ausserdem würden die Produktionskosten massiv steigen. Ritter hält die Initiative für zu extrem und kontraproduktiv. «Wir nehmen alle angesprochenen Probleme sehr ernst und machen gute Fortschritte. Wir haben zum Beispiel seit 2008 den Einsatz von Antibiotika um 45 Prozent reduziert.» Ausserdem wäre mit dem Aktionsplan Pflanzenschutz des Bundes gerade ein breites Massnahmenpaket auf dem Weg, dass weitere massive Verbesserungen bewirken wird. «Eine konsequente Umsetzung der bereits beschlossenen Gesetze und Massnahmen reicht völlig aus.»
Olivier Félix verweist auf den Massnahmenplan des Bundesamtes für Landwirtschaft
Olivier Félix vom Bundesamt für Landwirtschaft verweist auf den Massnahmenplan des Bundesamtes und betont, dass ohne jegliche Pflanzenschutzmittel 30 bis 40 Prozent der Erträge ausfallen könnten. Auch ohne Initiative gäbe es noch ein breites Spektrum an Verbesserungsmassnahmen, die noch lang nicht ausgeschöpft seien. Der Kürze halber nennt er die fünf wichtigsten Beispiele:
- 50 Prozent der Trinkwasserbelastung seien punktuell. Das heisst, dass zum Beispiel durch Reinigung der Spritzen grössere Mengen von Pestiziden ins Trinkwasser gelangen. Das könnte man durch eine sachgemässe Reinigung und Entsorgung des Abwassers vermieden werden.
- Den Ersatz von Pestiziden durch Nützlinge, Resistente Sorten etc.
- Mechanische Schädlingsbekämpfung – zum Beispiel durch Roboter, die Schädlinge erkennen und Einsammeln.
- Stärkere Kontrolle der gesetzlichen Vorgaben und schliesslich bessere Information der Landwirte.
Sophie Michaud Gigon von der Konsumentenorganisation FRC relativiert
Für Sophie Michaud Gigon und die FRC ist die vielgeäusserte Angst vor zu hohen Produktionskosten zu relativieren. «Gemäss unseren Umfragen erwarten die Konsumentinnen und Konsumenten Vertrauenswürdigkeit und Transparenz von den Lebensmittelproduzenten. Wenn die Mehrkosten wirklich zur Unterstützung der Biobauern eingesetzt würden, ist die Mehrheit bereit, bis zu 20 Prozent mehr zu zahlen.» Die Anliegen der Trinkwasserinitiative würde speziell bei den Westschweizer Konsumentinnen und Konsumenten gerade auch deshalb gut ankommen, weil Essen dort eben ein wichtiger Bestandteil der regionalen Kultur sei. Lange Transportwege, Importfutter und bizarre Standardisierungen zum Beispiel durch die EU, seien den Romands suspekt.
Die Organisation «Vision Landwirtschaft» hat laut Dr. Andreas Bosshard noch keine Parole gefasst
«Vision Landwirtschaft» bringt der Initiative aber offenbar einiges Wohlwollen entgegen. Sie Unterstützt die Initianten auch sachlich und argumentativ. Es bestehe zweifellos Handlungsbedarf. Obwohl die Schweiz in Europa am meisten für die Landwirtschaftspolitik ausgebe, reiche es offenbar trotzdem nicht und der Trend zur industriellen Landwirtschaft ginge ungebremst weiter.
Die Lebensmittelindustrie produziert, was der Einzelhandel verlangt
Dr. Urs Reinhard von der Föderation Schweizer Lebensmittelindustrie FIAL macht geltend, dass die Nahrungsmittelindustrie bei einer Annahme der Initiative einen starken Rückgang an Rohstoffen befürchtet. «Wir sind hier eher in einer passiven Situation, weil wir produzieren müssen, was der Einzelhandel von uns verlangt.
Gifte werden jetzt freigesetzt und verursachen 50 Jahre später grosse Probleme. Das will niemand.
In der anschliessenden Diskussion, die im wesentlichen von den Podiumsteilnehmern geführt wurden, gingen die Votanten vertieft und zeitweise recht heftig auf einzelne Punkte ein. Die Kritik von Markus Ritter an dem «extremen» Initiativtext wird insbesondere von dem Seeländer Biowinzer Bruno Martin zurückgewiesen. Natürlich würde sich die Landwirtschaft, wie Ritter behaupte, in die richtige Richtung entwickeln. «Aber der Umbau der Landwirtschaft ist ein Marathon. Und wenn man die richtige Richtung einschlägt, ist man bei einem Marathon noch lange nicht am Ziel.» Die Giftstoffe die wir jetzt freisetzen, verursachten Probleme in 50 Jahren. Er persönlich merke von der Dialogbereitschaft beim Bauernverband nicht viel. Er wüsste von Walliser Weinbauern die mit Helikoptern Pestizide versprühen und trotzdem Direktzahlungen erhalten. «Ich und andere arbeiten mit grossen Betrieben völlig im Einklang mit der Initiative und das wird einfach ignoriert.» Es brauche Initiativen wie die Trinkwasserinitiative. «Nur so können wir endlich den nötigen Druck aufbauen um wirklich etwas zu bewegen.»
Auch Franziska Herren betont, dass es beim Biolandbau um geschlossene Kreisläufe geht. Das Schweizer Kühe zum Beispiel mit Schweizer Heu gefüttert werden, statt mit brasilianischem Soja. Man sei immer offen für die Diskussion gewesen aber der Bauernverband hätte geblockt.
Urs Reinhard hält dagegen, dass der totale Verzicht auf Pestizide bei einer bestimmten Kartoffelkrankheit zu Totalverlusten der Ernten führen kann. «Es wäre denkbar, dass wir in solch einem Fall 60’000 Tonnen, von den durchschnttlich produzierten 160’000 Tonnen verlieren würden. Die müssten wir dann importieren. Ist das wirklich ökologisch sinnvoll?»
Andreas Bosshard kontert mit dem Verweis darauf, dass bis jetzt nur 5 Promille der öffentlichen Forschungsgelder in den Biolandbau fliessen: «Schon damit haben wir, unter aderem auch bei Kartoffelkrankheiten, extreme Erfolge erziehlt. In 10 Jahren wird es ökologische Lösungen für solche Probleme geben, die wir uns heute noch nicht träumen lassen.»
Sophie Michaud Gigon schliesslich betont, dass solche Initiativen in jedem Fall eine positive Dynamik schaffen, aber gerade beim Trinkwasser auch bei anderen Schadstoffproduzenten als der Landwirtschaft angesetzt werden muss. Worin ihr Markus Ritter beipflichtet.
Ferner kam im Plenum zur Sprache, dass die Schadstoffmessungen an sich fehlerhaft seien, weil immer nur die Grenzwerte für einen Schadstoff gemessen, aber die Wechselwirkung der verschiedenen Verunreinigungen ausser acht gelassen werden. Ausserdem läge die Verantwortung nicht einfach bei der Landwirtschaft oder Industrie, sondern eben auch bei den Konsumenten, die zum Beispiel einwandfreies Obst oder Gemüse nicht kaufen, wenn nur geringfügige Frassspuren oder andere optische Mängel zu sehen seien.
Prinzipiell herrschte aber gegen Schluss der Veranstaltung bei allen Votanten Einigkeit darüber, dass Handlungsbedarf bestehe – und zwar zügig. Christine Hürlimann fasst abschliessend zusammen, dass es eine grosse und umfassende Umstrukturierung der Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie brauche, die aber Zeit, Geld und Engagement von allen betroffenen Seiten, einschliesslich der Endverbraucher, benötigt.