Die Digger Aufstände
Nach der republikanischen Revolution unter Oliver Cromwell in England 1649 gründete Gerrard Winstanley mit gerade mal 12 Getreuen die erste libertär/kommunistische Landkommune der frühen Neuzeit. Die Daraus entstehende Bewegung der «Diggers» war bei weitem nicht der erste und ein eher kleiner Aufstand von Bauern und Landarbeiterinnen. Aber wirkt bis zum heutigen Tag nach.
Die ersten Kommunisten: Die „Digger“-Bewegung
Der britische König Karl 1, aus dem schottischen Haus der Stuards entmachtete zu Beginn der 40er Jahre des 17. Jahrhunderts das britische Parlament und versuchte mit seiner Sippe England wieder zu einer totalitären Monarchie umzubauen. Das Unterhaus (mehrheitlich Mitglieder des niederen Adels und der Stände) rebellierte gegen die Entmachtung. Zwischen 1642 und ‹49 brach ein Bürgerkrieg zwischen Parlamentaristen und Royalisten aus. Unter der geschickten Führung des ursprünglich einfachen Abgeordneten Oliver Cromwell stellten die Parlamentaristen die gut ausgebildete und ausgerüstete «New Modell Army» auf und besiegten schliesslich die Royalisten. Cromwell wurde nach verschiedenen religiösen Querelen unter den siegreichen Parlamentaristen und der Hinrichtung Karl 1 schliesslich zum «Lordprotektor» von England, Schottland und Irland. Er und seine Mitstreiter erklärten England zur Republik.
In den postrevolutionären Wirren gab es eine Vielzahl von politischen Strömungen und Abspaltungen. Die bekannteste war die bürgerlich demokratische Fraktion der Levellers (Gleichmacher) die im wesentlichen das allgemeine Wahlrecht für alle (Männer) forderten. Hierzulande weniger bekannt ist die Linksabspaltung der True Levellers, besser bekannt als «Diggers». Diese wollten nicht wollten nicht weniger als eine standesfreie Gesellschaft, Bodennutzungsrechte für alle und die soziale und gesellschaftliche Gleichheit aller Männer und Frauen.
Die Bibel als Grundlage
Begründer und Wortführer der Bewegung zur Zeit des Protektorates (1649 – 1658) war Gerrard Winstanley, ein protestantischer Reformer und politischer Aktivist. Ursprünglich Schneider, der während der Bürgerkriegswirren bankrott ging und als Rinderhirte arbeiten musste, entwickelte seine frühkommunistischen gesellschaftspolitischen Vorstellungen aus seinen Erfahrungen als Landarbeiter und dem Studium der Bibel, die er besser kannte als die meisten Theolgen.
«Am Anfang der Zeit», so Winstanley, «machte die Vernunft als der große Schöpfer aller Dinge die Erde zu einer gemeinsamen Schatzkammer, auf dass sie den Tieren, den Vögeln, den Fischen und dem Menschen, der als Herr über diese Schöpfung gebieten sollte, zum Lebensunterhalt diene, …doch war am Anfang mit keinem einzigen Wort davon die Rede, dass ein Teil der Menschheit über den an deren zu bestimmen hätte.»
Winstanley vertrat die Überzeugung, dass Gott den Einzelnen nicht nach sozialen, nationalen oder geschlechtsspezifischen Unterschieden beurteile, sondern wolle deren Aufhebung wolle.
Gewaltfreie Revolution
Mit nur 12 Mitstreitern (meist arbeits- und besitzlose Veteranen der New Model Army) besetzte Winstanley auf dem St.Georges Hill in Surrey brachliegendes Gemeindeland und gründete darauf die erste Digger-Kommune. Für die Armen forderten die Diggers das Recht, auf dem Gemeinde- und Brachland in autonomen Kommunen zu siedeln. Sie fühlten sich berufen, «vermöge der Kraft der Vernunft oder des Gesetzes der Gerechtigkeit in uns, die Schöpfung von jener Knechtschaft des privaten Eigentums frei zu machen, unter der sie stöhnt.» Die überschüssigen Erträge verteilten die Digger kostenlos an die Bevölkerung, was ihnen einerseits raschen Zulauf, andererseits den aggressiven Argwohn der Adeligen und Grundbesitzer bescherte.
Innert kurzer Zeit entstanden überall in England über 50 «Digger»-Kommunen. Die Diggers lehnten Gewalt strikt ab und besetzten auch auch kein Privateigentum. Sie glaubten – wohl auch aus religiöser Verblendung – fest daran, dass sie als Parallelgesellschaft existieren könnten, bis sich die gesamte Bevölkerung ihrer Lebensweise anschlösse. Dieser naive Optimismus war allerdings gepaart mit einer recht klaren Analyse der herrschenden Misstände und reger Propaganda durch Traktate und Flugschriften.
Zielscheiben ihrer Kritik waren vor allem Grundbesitzer, Juristen und der offizielle Klerus als die drei Säulen der «Königlichen Macht». Das normannische Justizsystem kritisierten sein als aufgezwungene Klassenjustiz, die mit ihren Gesetzen «die gemeinen Menschen in Knechtschaft» hielten.
Sie kritisierten das Justizsystem als von den normannischen Eroberern aufgezwungene Klassenjustiz. Die Gesetze seien dazu gedacht, «um das gemeine Volk in Knechtschaft zu halten». Den Priestern warfen die Digger vor, den Herrschenden den «Deckmantel für ihre Schurkerei» zu liefern, die Armen auf das Jenseits zu vertrösten, sich selbst aber im Diesseits zu bereichern.
Gütergemeinschaft ohne Gesetze und Strafen
Die kooperative, strikt egalitäre Alternativgesellschaft mit Gütergemeinschaft und ohne Geld sollte ohne Regierung, Gesetze und Strafen auskommen. «weil niemand es wagen wird, nach Vorherrschaft über andere zu streben, einen anderen zu töten oder mehr von der Erde zu begehren als ein anderer.» Trotz ihrem Verzicht auf Waffengewalt waren die Diggers durchaus kämpferisch. Mit Boykotten passivem widerstand sezten sie in ihrem Einflussbereich den Grossgrundbesitzern durch Arbeitskraftentzug und Boykokotte oft massiv zu. Da die Armen mit ihrer Arbeitskraft das System schützten, sollten sie es durch Verweigerung der Lohnarbeit zum Einfall bringen und sich den Landkommunen der Digger anschließen. Die bestreikten und boykottierten Grundbesitzer und Anhänger des alten Systems gewaltsam zu enteignen, war nicht vorgesehen, sie sollten bis zu ihrem Sinneswandel toleriert werden, wobei die Digger von ihnen das Gleiche für sich verlangten, nämlich «dass eure Gesetze uns nicht erreichen sollen, um uns weiter niederzudrücken.» In einem von Winstansleys Traktaktaten heisst es: «Lasst Euch gesagt sein, dass das Volk von England nicht eher frei sein wird. als bis die Armen, die kein Land haben, frei und unbehelligt auf den Gemeindeweiden graben und arbeiten dürfen und mithin genau so sorgenfrei leben können, wie die Grundbesitzer auf ihrem eingehegten Boden.»
Schnelle Unterdückung
Trotzdem sah der britische Generalstab nach Unterhandlungen mit Winstanley in den Diggers keine echte Bedrohung und das Militär intervenierte (vorläufig) nicht. Anders die Grossgrundbesitzer und der Adel. Diese heuerten Söldner an, um die Diggers zu Vertreiben. Schliesslich ergang der Erlass der Regierung die Diggerkommunen aufzulösen, ihre Ernten und Werkzeuge zu vernichten. Die Wortführer wurden zum Teil Lebenslang eingekerkert und eine unbekannte Zahl von Männern, Frauen und Kindern wurden bei den Säuberungsaktionen getötet. Da die Digger weder aktiven Widerstand leisteten und auch nicht über Waffen verfügten waren spätestens 1551 waren alle Digger-Kommunen niedergemacht. Die soziale Bewegung existierte aber mindestens bis 1559 weiter.Die Digger-Bewegung waren beileibe nicht die erste und eine eher kleinere Erhebung der englischen Bauern. Doch dank Winstanleys zahlreichen Propagandaschriften und ihrer für damalige Vehältnisse konsistenten und analytischer Ideologie hat die Diggerbewegung bis heute dissidente und revolutionäre Bewegungen in England, Kontinentaleuropa und später den USA beeinflusst.
Nachwirkungen bis heute
Laut dem 2019 verstorbenen deutschen Historiker Hans-Christoph Schröder haben die Diggers «Systemkritik im umfassenden, die sozialökonomische Grundlage der Gesellschaft miteinbeziehenden Sinn betrieben, indem sie die Institution des Privateigentums und das System des ‚Kaufens und Verkaufens‘ als Wurzel aller Übel bezeichneten und zur Zielscheibe ihrer Angriffe machten.»
Verschiedene sozialistische Strömungen, sowohl Marxisten-Leninisten und Sozialdemokraten als auch Anarchisten, betrachten aufgrund der ideologischen Gemeinsamkeiten die Digger und Winstanley als eigene geistige Vorläufer. Eine Gruppe namens Digger stand 1965 in San Francisco am Anfang der Alternativbewegung der 60er Jahre. Ziel dieser Digger war eine geldlose Gegenkultur, der sie versuchten, eine wirtschaftliche Struktur zu geben. Heute sind in Großbritannien Digger unter anderem Radikale der Englischen Revolution für Teile der sozialen Bewegungen Identifikationsfiguren auf die man sich in Publikationen, aber auch bei Veranstaltungen, Demonstrationen und direkten Aktionen beziehe. Das gewaltfreie Revolutionskonzept, die Landbesetzungen in direkter Aktion und die Kommune-Experimente der Digger machen sie für Anarchisten und Praktiker der gewaltfreien Aktion besonders attraktiv. Ende der 80er Jahre beziehen sich «Christliche Anarchisten» oder «an Anarchie interessierte Christen» am stärksten auf die Digger.
Der amerikanische Literaturwisseschaftler Michael Hardt und der linke italienische Soziologe Antonio Negri stützen sich bei irem Vielbeachteten Buch «Common Wealth – Das Ende des Eigentums» (2010) im Wesentlichen auf die Theorien und Geschichte der True Levellers (https://www.perlentaucher.de/buch/michael-hardt-antonio-negri/common-wealth.html), das populäre Englische Arbeiterlied «The world turned upside » hält in seinen Rockversionen von Chumbawamba oder Billy Bragg das Gedächtnis an die Diggers auch in der Populärkultur aufrecht (https://www.youtube.com/watch?v=SWRpl2S9iwk)
Unsere Artikelserie über Bauernrevolten:
Bauernrevolten und -bewegungen
In unserer Artikelserie zeigen wir, wie die (als so rückständig geltende) Bauern, immer wieder Motor revolutionärer Erhebungen und grosser politischer Umwälzungen waren.
Der Deutsche Bauernkrieg (1514-1526)
Der grosse Bauernkrieg in Deutschland, wurde – wie alle Erhebungen, blutig niedergeschlagen – aber die Politik war nachhaltig beeinflusst.
Die Schweizer Bauernkriege (1523 – 1526, 1653)
Quasi zeitgleich mit dem grossen deutschen Bauernkrieg und inspiriert von der Reformation erhoben sich die Schweizer Bauern.