Einige wenige Konzerne kontrollieren immer grössere Teile der Lebensmittelproduktion und Vermarktung. Vom Acker bis zur Ladentheke. Mit katastrophalen Folgen für Umwelt, Menschenrechte und Konsument.inn.en.
Das immer weniger, immer grössere Konzerne um die Marktanteile und Ressourcen im globalen Lebensmittelmarkt kämpfen, ist eigentlich keine Neuigkeit. Erschreckend ist aber in welchem Tempo diese Konzentration vor sich geht und welchen politischen Einfluss die Konzerne durch ihre wachsende Marktmacht erwerben.
Indoktriniert durch Werbung und Marketing haben wir beim Einkauf von Gemüse, Obst und Fleisch im Supermarkt automatisch Bilder von klassischen Bauernhöfen, frei weidenden Tieren und blühenden naturnahen Landschaften im Kopf. Dabei hat die Produktion der meisten von uns konsumierten Lebensmittel mit diesen, von der Nahrungsmittelindustrie mit enormen Mitteln geförderten Vorstellung, leidlich wenig zu tun.
Bauer als Folklore
Die grossen Getreide-, Obst-, Gemüse- und Fleischproduzenten haben sich seit den 1980er Jahren in exponentiell steigendem Tempo zu multinationalen Mischkonzernen entwickelt, in denen vom Saatguthandel, Maschinen- und chemischer Industrie über Finanzmarkt- und IT-Business die verschiedensten Wirtschaftssparten eng miteinander verzahnt sind. Entsprechend ist das Bild des lachenden Bauers auf seiner Scholle heute fast ebenso Folklore, wie es das Pferd vor dem Pflugschar bis vor einigen Jahrzehnten noch war.
Der Wandel von der Landwirtschaft und dem traditionellen Einzelhandel zur allumfassenden Agrobusinesskrake begann eigentlich schon kurz nach dem Ende der Feudalherrschaft im britischen Empire. Der Aberglaube des sich selbst regulierenden, sogenannt freien Marktes, den sich der schottische «Vater der Nationalökonomie» Adam Smith im 18. Jahrhundert ausgedacht hatte, fusste im Wesentlichen auf der Tatsache, dass die damals führende Weltmacht Grossbritannien quasi weltweit ungehinderten Zugang zu Ressourcen aus der ganzen Welt hatte. So begannen im 18. Jahrhundert die ersten global aktiven Handelsfirmen die regionalen klassische Landwirtschaft als Nahrungsmittelproduzenten zu konkurrieren.
Industrialisierung und Monokultur
Durch die zusehende Mechanisisierung der Landwirtschaft im 19. Jahrhundert wurden, überall in den Europäischen Kolonien und vor allem im britischen Empire, aus Feldern Plantagen – sprich grossflächige Monokulturen.
Gleichzeitig wurden Verfahren entwickelt, Nahrungsmittel zu verarbeiten und zu konservieren. Eisenbahn und motorisierte Schifffahrt machten es möglich, gewaltige Mengen von Nahrungsmitteln innert nützlicher Frist über den ganzen Globus zu verteilen.
So wurde die Transportlogistik integraler Bestandteil der Nahrungsmittelindustrie.
Börsenspekulation mit Getreide
Ebenso, wie die Finanzmärkte. Um Kapitalmangel entgegenzuwirken, wurden Terminmärkte für den Handel mit Ernten eingeführt, die schon vor der Aussaat verkauft waren. Ein absurder Nebeneffekt war, dass zum Beispiel an der chicagoer Getreidebörse schon bald und bis heute ein mehrfaches an Weizen gehandelt wird, als überhaupt produziert wird.
Durch diese Entwicklungen und die Erfindung der Hybridtechnologie kamen in den 30er Jahren Firmen auf den Markt, die mit neuen Saatgutarten und Nutztierrassen handelten.
Die chemische Industrie kam, auf Grund der Monokulturen notwendig gewordenen Produktion von Kunstdüngern und erster Pestizide, auf den Plan. Letzteres keineswegs nur aus böser Absicht. Berthold Brecht zum Beispiel sah im DDT einen Segen, mit dem die Menschen von der Malaria befreit wurden. Und tatsächlich rotteten erst die amerikanischen Besatzungstruppen die Malaria auf den norditalienischen Reisfeldern aus.
Internationale Oligopole
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden vor allem in den USA international tätige «Oligopole», die nicht nur exportierten sondern auch in den Absatzländern investierten, weil die Märkte damals eher zum Protektionismus als zum Freihandel tendierten. Schon dort begann die Tendenz zur Marktkonzetration (von Karl Marx als Monopolkapitalismus recht präzise vorausgesagt). Immer weniger US-amerikanische und europäische Firmen bestimmten zunehmend das Marktgeschehen an der Lieferkette. Und die bäuerlichen Betriebe wurden zusehends zum schwächsten Glied in dieser Kette.
Nahrung als Warenfetisch
Mit den Wiederaufbauprogramm nach dem zweiten Weltkrieg beschleunigte sich der Prozess in den kapitalistischen Ländern zusehends. In den USA kamen mit Snacks, Fastfood und neuartigen Süssgetränken völlig neue Nahrungsmittel auf den Markt, denen bereits ein gewisser Fetischcharakter (man bezahlt nicht den Produktnutzen sondern das Branding) anhaftete. In Europa puschten die Landmaschinenindustrie, Saatgut- und Agrochemieindustrie die Industrialisierung der Rohstoffproduktion (Anbau und Viehzucht).
Mit den Supermärkten wurde der Einzelhandel in den 50er und 60er Jahren zusehends zum zentralen Faktor in der Nahrungsmittelproduktion.
Katastrophale Grüne Revolution
Von «freiem Markt» konnte schon damals längst keine Rede mehr sein. Nicht wirkliche Innovation oder Unternehmergeist führten zum Erfolg, sondern schlicht die Marktmacht. Die grossen frassen die kleinen und oder schlossen sich zu noch grösseren Playern zusammen. Als das Bevölkerungswachstum zum akuten Ernährungsproblem für die dritte Welt wurde, propagierte man nicht funktionale, nachhaltige Lösungsansätze, sondern ein katastrophales Modell, dass die Probleme langfristig verschlimmerte und so die Landwirtschaft zu einer der grössten Verursacherin von Umweltproblemen werden liess: «Die Grüne Revolitution».
Das Konzept gigantischer, industriell bewirtschafteter Monokulturen, mit intensivem Düngemittel- und Pestizideinsatz waren der neuen, industriellen und ineinander verzahnten Landwirtschaftsindustrie nicht nur auf den Leib geschnitten. Die grossen Agrokonzerne konnten sich auch wie Krebsgeschwüre in Asien, Afrika und Lateinamerika ausbreiten. Das Bauernsterben in den USA und Europa beschleunigte sich und breitete sich auch auf die anderen Kontinente aus. Insbesondere in Afrika führte die Grüne Revolution aber durch Auslaugung und Verpestung der Böden mittelfristig zu schweren Hungerkatastrophen, an deren Folgen die betroffenen Völker bis heute Leiden.
Fettsucht und Trendnahrungsmittel
In den kapitalistischen Ländern Europas und Amerikas führte das bereits problematische Überangebot von, vor allem bereits hochraffinierten, also industriell produzierten Lebensmitteln, zu epidemischer Adiposität, Herz/Kreislauferkrankungen und Diabetes. Damit enstand ein neuer, riesiger Markt für höchst dubiose, «gesunde» Fertignahrungsmittel. Zudem warfen die mittlerweile bereits zusammengewachsenen Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé, Danone, Unilever (um nur drei zu nennen) überteuerte Fertignahrungsmittel auf den Markt, um einen grösseren Anteil des Erwerbseinkommens der arbeitenden Bevölkerung abzuschöpfen. Denn mit den steigenden Löhnen wurde der Anteil des Lohnes, den die Menschen für Nahrungsmittel ausgaben stetig geringer (das sogenannte Engelssche Gesetz). Ausserdem wurde das Marketing für Nahrungsmittel intensiviert, womit auch die Kommunikationsbranche im grossen Stil auf das Geschäft mit dem Essen einstieg.
Explosive Konzentration
Völlig aus dem Ruder lief die Entwicklung in den 80er Jahren. Die multinationalen Konzerne, die pflanzliche Nahrung produzierten, wuchsen zu immer grösseren Konzernmonstern heran, die genug politische Macht hatten, um in den Ländern der dritten Welt staatliche Kontrollen, Zölle und andere Kontrollmechanismen, auszuhebeln. Mit dem Wegfall des sozialistischen Staatensystems brachen dann alle Dämme. Freihandel und Patentrechte führten zu einer explosionsartigen Welle von Fusionen und Marktkonzentrationen. Dabei gehören zu den Agrokonzernen eben nicht nur Unternehmen wie Nestlé, Unilever, McDonalds, Kentucky Fried Chicken, die brasilianischen Fleischkonzerne JBS und BRF, sondern auch Maschinenbauer wie John Deere, oder IBM, Microsoft und Amazon. Saatguthersteller und Agrochemie, wie Bayer und Monsanto, sind heute ohnehin nicht mehr zu trennen. Zudem kaufen Chinesische Staatskonzerne wie ChemChina um jeden Preis Westunternehmen, wie zum Beispiel Syngenta auf, um im grossen Rennen um die Nahrungsmittel- und Wasserreserven der Erde ihre Position auszubauen.
Konzerne gehen über Leichen
Schon jetzt ist aus einer Unzahl von eher regionalen Markteilnehmern eine Hand voll Firmenkonglomerate geworden, die den Grossteil der globalen Nahrungsmittelproduktion kontrollieren und dafür über Leichen gehen. Wenig überraschend, dass gut die Hälfte aller Big Player im Agrarsektor ihren Sitz in den USA haben. Mit deutlichem Abstand gefolgt von Deutschland. Frankreich, Grossbritannien und Niederlande (alles ehemals bedeutende Kolonialmächte) die Schweiz und neuerdings Brasilien teilen sich zusammen die verbleibenden nennenswerten Stücke vom Kuchen. Als einziges Land der nicht kapitalistischen Hemisphäre, gewinnt China exponentiell an Marktmacht durch Übernahmen in Europa und den USA.
Diktatur des Kapitals
Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hinter dieser Entwicklung eine klare Strategie zu erkennen. Durch Aufkäufe, Fusionen und Verdrängung erlangen immer weniger, immer grössere Agromultis, immer schneller immer mehr Marktmacht. Mit dem Ziel, letztendlich die Kontrolle über die Welternährung zu erlangen. Und zwar zu ihren Bedingungen, ohne Rücksicht auf Umwelt, Gesundheit, Menschenrechte und Nachhaltigkeit. Schon heute sind in den meisten Exportländern billiger Agrarrohstoffe die Arbeitsschutz- und Umweltgesetze das Papier nicht wert, auf denen sie gedruckt sind (Siehe Agrarinfo-Beiträge zu Konzernverantwortung, Palmöl, Landgrabbing, Menschenrechten etc.). Und auch in den westlichen Demokratien schwindet der Einfluss der Politik fortlaufend. Nicht umsonst wird das Europaparlament von zahlreichen Kritikern und Kritikerinnen als Lobbyistenstrich bezeichnet. Und die mit Abstand mächtigste Wirtschaftslobby ist die Agrarlobby.
Für die zunehmende Diktatur der Konzerne braucht es keine Superbösewichte à la Blofeld oder bizarre Weltverschwörungen. Das sind schlicht die Folgen einer kapitalistischen Weltordnung und deren mitgewachsenen Mechanismen.