Von Saatgut, Züchtung und Patenten
Moderne Züchtungstechnologien, „magic seeds“ wie Bill Gates sie nennt, sollen den Welthunger beenden. Doch was ist wirklich dran? Sich einen Überblick zu verschaffen ist nicht einfach. Die folgenden Artikel und Internetseiten sind faktuell – und entsprechend kritisch. Zu guter letzt folgt ein Hintergrundtext von 2014 mit historischen Erläuterungen:
Die Saatgut-Tagung 2022 der Zukunftsstiftung Landwirtschaft →
An der Tagung «wurden die Konzentrationsprozesse und die damit einhergehenden Auswirkungen auf den Saatgutmarkt thematisiert. Dabei spannte sich der Bogen vom globalen Saatgutmarkt, über den wachsenden Öko-Saatgutmarkt in Deutschland bis zu konkreten Beispielen aus den ökologischen Züchtungsprojekten. Für alle, die nicht dabei waren und alle Teilnehmenden, die vielleicht einzelne Passagen nochmal anschauen wollen, stellen wir dank der Zustimmung der Referent*innen drei Vorträge zur Verfügung»
Man kann die Risiken der neuen Gentechnik noch nicht beurteilen →
Dr. Eva Gelinsky im Bioaktuell 5/2021
«Neue Gentechnologie» bedeutet auch neue Patente – auf Pflanzen- und Tiergene. Mit welchen Folgen für die Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion?
Hintergrundinformation gibts bei der Organistation No Patents on Seeds! →
Test Biotech setzt sich für eine strikte Regulation der neuen Gentechnik-Verfahren ein. Wieso steht auf ihrer Webseite mit Fallbeispielen und Hintergrundinformationen, Möglichkeiten und Risiken der Genschere CRISPR/Cas. Testbiotech.org →
Neue Gentechnik: Produkte & Profiteure →
(leere Versprechen für eine bäuerliche Landwirtschaft und das Klima), Eva Gelinsky, 2021
und als Gegengewicht
Partizipative Züchtung und Agrarökologie →
Eva Gelinsky und GZPK, November 2021
Und nun zum oben erwähnten Text. Er basiert auf einem Vortrag von Dr. Eva Gelinsky↵.
Saatgutproduktion war früher Teil der bäuerlichen Arbeit. Saatgutarbeit fand auf den Höfen statt. In der Zeit, wo sich die Landwirtschaft veränderte und die sogenannte professionelle Züchtung entstand, begann auch die Arbeitsteilung zwischen Züchtung einerseits und bäuerlicher Tätigkeit andererseits. Saatgut wurde nicht mehr nur auf den Höfen produziert, sondern auch zu einer Handelsware. Das führte anfangs zu Problemen: Man hatte einen Markt mit einem Angebot, z.B. von verschiedenen Getreidesorten, wusste aber nicht, ob denn wirklich das in der Tüte ist, was drauf steht, wie die Qualität ist, das Alter, die Keimfähigkeit usw. Zur Regelung der Arbeitsteilung musste ein Qualitätssicherungssystem eingebaut werden – das war der Beginn der sogenannten Saatgutverkehrsgesetzgebung.
Saatgutverkehrsgesetzgebung
Aus staatlicher Sicht ging es primär um die Versorgung der Bevölkerung – die Bauern mussten mit vernünftigem, gutem, das heisst keimfähigem, gesundem Saatgut arbeiten können. Die Saatgutverkehrsgesetzgebung regelte die Arbeitsteilung: Die Bauern wollen eine gute Saatgutqualität und betreiben auch Nachbau, die Züchter wollen möglichst regelmässig Saatgut verkaufen. Je mehr Saatgut gehandelt wurde, desto schwieriger wurde die Qualitätskontrolle und desto wichtiger die Regeln. Bald kam auch eine Steuerung der landwirtschaftlichen Produktion dazu: ein grosses Sortenangebot schien schwierig zu handhaben und die Obrigkeit beschloss, welche und wie viele Topsorten die Landwirtschaft brauchte. Das sind die sogenannten Sortenbereinigungen. Listen wurden eingeführt, welche Sorten auf dem Markt erwünscht sind und welche nicht. Damit wird ganz direkt die Landwirtschaftliche Produktion gesteuert und indirekt Einfluss genommen auf Züchtungsziele, aber primär dient die Saatgutverkehrsgesetzgebung der Qualitätssicherung: bei ihr geht es um Verbraucherschutz.
Sortenschutz
Der Sortenschutz entstand historisch viel später, in Deutschland in den 50er-Jahren, in der Schweiz erst in den 70er-Jahren. Hier stehen die Interessen der Züchter im Vorgerdrund, es ist ein Ausschliesslichkeitsrecht. Saatgutverkehrsrecht ist öffentliches, aber Sortenschutz privates Recht: Da wird festgelegt, dass nur der Züchter oder andere Berechtigte die geschützten Sorten vertreiben dürfen. Vertrieb und Nutzung durch Dritte wird eingeschränkt, denn der Züchter soll mit dem Verkauf des Saatgutes Geld verdienen, um seine Züchtung zu finanzieren. Dieses Rechtsinstrument dient den Saatgutunternehmen, unterstützt also die Geschäftstätigkeit einer bestimmten Branche, soll aber auch Widersprüche und gegensätzliche Interessen regulieren. Mit dem sogenannten Landwirt- und Züchter-Privileg wurde den Bauern erlaubt, selber Nachbau zu betreiben. Der Staat war skeptisch ob, wenn man dem Züchter zu viele Rechte einräumt, die Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Das Züchterprivileg wird zwar jetzt immer stärker eingeschränkt, aber am Anfang war der Nachbau staatlich klar erlaubt. Auch hier geht es natürlich um eine Steuerung der landwirtschaftlichen Produktion, auch hier wird indirekt Einfluss genommen auf die Züchtungsziele.
Patentschutz
Der Patentschutz ist ebenfalls ein eigener Bereich, ein privatrechtliches Instrument, bei dem es primär um den Schutz der Interessen der Züchter geht. Es ist ein Ausschliesslichkeitsrecht, d.h. die Nutzung und der Vertrieb von patent-geschütztem Material kann durch Dritte untersagt werden bzw. ist kostenpflichtig. Auch hier geht es darum, dass das investierte Geld zurückfliesst und weiter gezüchtet werden kann. Hier hat – noch klarer als beim Sortenschutz – im Wesentlichen der Züchter alle Rechte. Es gibt kein Landwirt- oder Züchter-Privileg, man darf patentgeschütztes Material auf dem eigenen Betrieb nur dann vermehren, wenn der Patentinhaber das gestattet.
Saatgutsrechtsreform
Dieser öffentlich-rechtliche Bereich ist wie eingangs erwähnt ursprünglich eingeführt worden, um die Qualität zu sichern und den Markt in geordnete Bahnen zu lenken – passend zu der Politik, die bestimmte Sorten haben will, die einem bestimmten Standard entsprechen müssen. Heute wird dieser von den grossen Züchtungsunternehmen gesetzt und diese bringen im Wesentlichen Hybridsorten auf den Markt. Jedes neue Saatgut, das auf den Markt kommen soll, muss ein gewisses Zulassungsverfahren durchlaufen. Nur das Saatgut, das die Sortenprüfung bestanden hat, wird in den Sortenkatalog aufgenommen (1) und darf auch vertrieben werden.
Die Zulassungskriterien sind aus Sicht der Erhaltungsorganisationen und Biozüchter zu stark an den Industriesorten orientiert. Neues Saatgut muss folgenden drei Anforderungen entsprechen:
- Unterscheidbarkeit (distinct): die Sorte muss von allen andern Sorten mindestens in einem Merkmal klar unterscheidbar sein.
- Homogenität (uniform): alle Pflanzen auf dem Acker müssen einen hohen Grad von Homogenität aufweisen.
- Beständigkeit (stable): die Sorte muss auch nach mehreren Generationen noch die gleichen Eigenschaften aufweisen.
Das Hybridsaatgut der Maissorten erfüllt diese Anforderungen perfekt. Es gibt kaum ein besseres Beispiel für Homogenität als ein Maisfeld: da sehen alle Pflanzen gestochen gleich hoch aus, wie geklont.
«Es war das Recht der Bauern die das Land bewirtschaften, Saatgut zu züchten. Dann wurde es zu einem Privileg. Wird es nun bald ein Verbrechen sein?»
Better Regulation
Lange hatten die EU-Staaten eigene Regeln innerhalb des Rahmens des Saatgutverkehrsrechtes. Dann sollte es unter dem Stichwort Better Regulation in der EU nur noch eine Regel geben, die überall gilt, um den Handel innerhalb der EU zu erleichtern. Damit sollte die Bürokratie abgebaut und Gesetze vereinheitlicht werden. Das ganze Saatgutrecht wurde evaluiert und es wurden Vorschläge ausgearbeitet, die eindeutig von der Saatgutindustrie diktiert und vorformuliert waren und Kleinanbieter wie Erhaltungsorganisationen und Biozüchter verdrängt hätten.
Im Bereich des Industriesaatgutes hätte diese Better Regulation in der Tat zu einem Bürokratieabbau geführt. Der Bereich der kleinen Sorten war bis 2014 unreguliert – man konnte dieses Saatgut „in Verkehr“ bringen, ohne dass das jemanden interessierte. Mit der Better Regulation sollte das nicht mehr gehen. Während für die Grossen die Bürokratie abgebaut werden sollte, sollte sie für die sogenannten Erhaltungs- und Amateursorten fast schikanös erweitert werden. Diese Better Regulation war der Hintergrund für die Einführung der Nischensortenregelung in der Schweiz: Die Erhaltungssorten, so wurde definiert, sind an eine bestimmte Region gebunden und dürfen nur in dieser angebaut und vermehrt werden. So wird die Menge reguliert und kontrolliert. Zum Beispiel das Bamberger Hörnchen (eine alte deutsche Kartoffelsorte) gehört nur nach Bamberg und Umgebung. Bei den Amateursorten ohne wirtschaftliche Bedeutung wurde die Regulierung über die Packungsgrössen gemacht: man darf nur ganz kleine Packungen auf den Markt bringen. Was also ursprünglich als Verbraucherschutz gedacht war, ist inzwischen ein Instrument der Industrie geworden, um ein bestimmtes Saatgut auf dem Markt zu fördern und ein anderes nicht reinzulassen.
2014 konnte dieser Versuch, den Industriestandard für Saatgut noch weiter auszubauen und die Weitergabe zwischen Landwirt*innen sowie von Landwirt*innen an Private stark einzuschränken, nach einer europaweiten Kampagne abgewehrt werden. Nun steht ein neuer Reformvorschlag der EU-Kommission vor der Tür. Aktuelle Informationen hierzu findet man bei: https://www.arche-noah.at/politik/saatgutrecht
Im Bio-Anbau ist das Problem weniger die Bürokratie, sondern die ganz anderen Ansprüche an Saatgut: Robustheit, Ertragsstabilität auch unter etwas schwierigeren Bedingungen, Anpassungsfähigkeit usw. Die Bio-Sorten passen einfach nicht in dieses Zulassungssystem. Populationssorten beim Mais z.B. sind aus Sicht der DUS-Kriterien (distinct, uniform, stable) eigentlich gar keine Sorten, denn wenn man sich da ein Maisfeld anschaut, dann sind die einen Pflanzen höher, die anderen niedriger, sie sind also in ihrer Ausprägung ein wenig unterschiedlich und trotzdem in den relevanten Eigenschaften so, dass man sie zusammen ernten und verarbeiten kann. Weil sie genetisch variabler, flexibler und anpassungsfähiger sind, sind sie im Anbau ertragreicher. Viele der PSR-Sorten sind Landsorten und wie die Populationssorten sehr unterschiedlich. Doch mit diesen kann man den heutigen Markt nicht bedienen, weil sie den heutigen Marktanforderungen weder ertragsmässig noch krankheitsmässig gewachsen sind. Man hatte früher ein anderes Sortenideal. Alte Sorten entsprechen kaum der geforderten Homogenität, für solche Sorten bekommt man keine Zulassung vom Büro für Sortenschutz, denn das entspricht nicht den industriellen Uniformitätsanforderungen.. Von einem parallelen Zulassungsweg für den Bio-Anbau ist im aktuellen Vorschlag so gut wie nichts sichtbar. Wie können dann z.B. Arche Noah (2) arbeiten, wenn sie ihr Saatgut nicht mehr verkaufen können?
Das Hauptziel der Industrie mit der EU-Reform ist, den Nachbau zu kontrollieren. Saatgut ist ja so schlecht in dieses geldwirtschaftliche System zu integrieren, weil es sich selber reproduziert. Das ist nicht irgendeine eine Ware, die jedes mal wieder neu gekauft werden muss, sondern bei Nicht-Hybridsaaten hat man theoretisch die Möglichkeit, einmal zu kaufen und einfach nachzubauen. Bei Getreide wird das noch öfters gemacht, und das ist den Saatgut-Konzernen ein Dorn im Auge.
Die UPOVF 91-Reform hat den bäuerlichen Nachbau kostenpflichtig gemacht (3). Wenn zertifiziertes Saatgut (Z-Saatgut) nachgebaut wird, muss man 50% der Z-Lizenz an den Züchter zahlen. Eine Saatgut-Treuhand ist für das Eintreiben dieser Lizenzen verantwortlich. Sie schickt verdeckte Ermittler auf die Höfe und lässt Bauern untereinander spionieren. Das alte bäuerliche Recht wird torpediert, aber die Industrie will strikte gesetzliche Regelungen, damit die Nachbaugebühren bezahlt werden. Etliche Bauern haben sich zusammengeschlossen in einer Interessengemeinschaft gegen die Nachbaugesetze und Nachbaugebühren (4) und kämpfen gegen dieses System an.
Auch Hybridzüchtungen bringen die Bauern um ihr Recht auf Nachbau: Sie sind für eine Wiederaussaat weitgehend unbrauchbar, da die positiven Eigenschaften nicht stabil an die nächste Generation weitervererbt werden. Während sämtliche Anbausorten von Mais und Sonnenblume Hybride sind, sind Hydridsorten bei Halmgetreide (Weizen und Gerste) sehr schwierig zu züchten (5). Entsprechend gross sind hier die Anstrengungen, da wird irrsinnig Geld reingepumpt von der Industrie selber und staatlicherseits.
Es gibt die Forderung, die Züchtung müsse in der öffentlichen Hand sein, aber diese hat in den letzten Jahren immer weniger Geld bekommen. Historisch war während dem Grossteil des 20. Jahrhunderts in der Schweiz die Züchtung staatlich, das heisst von der Agrarpolitik abhängig. Nun wurde das zurückgefahren. Bei sehr wichtigen Arten existiert keine Züchtung in der Schweiz. Sorten und Saatgut sind Bestandteil des Agrarabkommens (6).
Patente
Beim Sortenschutz gibt es zumindest theoretisch immer noch das Züchterprivileg, wenn auch inzwischen eingeschränkt weil man z.B. bei Hybridsaatgut nicht an die Elternlinien kommt, aber man kann immerhin noch weiter züchten, während bei patentgeschützten Sorten das auch nicht mehr geht. Der Trend in der EU ist klar, dass immer mehr patentgeschützt wird.
Vieles davon ist rechtlich absolut nicht in Ordnung und trotzdem passiert es, es geht NUR noch um die privaten Interessen der Konzerne. Man kann nicht eine einzelne Sorte patentieren, aber man kann SorteN patentieren: bestimmte Eigenschaften, die in mehreren Sorten wirken, die Sortengemeinschaft und die Verwendung – die ganze Kette. Beim Soja z.B. ist nicht nur das gentechnisch veränderte Soja patentiert, sondern das Soja selber, das Futtermittel daraus, die Milch der Tiere, die dieses Soja fressen, und die Produkte, die mit der Milch produziert werden auch. Ein Beispiel dafür, wie weit das geht ist die irreteure Bio-Teff-Milch von Bauhof, einem grossen Demeterhof: Teff (7) ist eine Zwerghirseart aus Afrika, geeignet für Trockengebiete. Irgend ein holländisches Unternehmen hat vor Jahren ein Verfahren patentiert, um Mehltypen festzulegen. Damit war auch das Produkt patentiert, und jetzt auch die Verwendung dieses Teffmehls in irgendwelchen Produkten … Zahlen tun die Konsumenten, Profiteur ist der Patentnehmer.
Am Anfang waren die Patente für gentechnische Konstruktionen gedacht, inzwischen ist es aber das Standardschutzinstrument in der Züchtung, auf jahrhundertealtem Kulturgut. Ein Beispiel hierzu ist Syngentas Paprika (8): Syngenta hat eine Paprikasorte aus einer Genbank, welche eine natürliche Resistenz gegen weisse Fliegen hat (9) eingekreuzt und die resistente neue Sorte patentiert. Jetzt muss jeder, der in seiner eigenen Züchtung mit dieser Resistenz etwas machen will, Lizenzzahlungen an Syngenta leisten.
Patente werden genutzt als strategisches Mittel, auch in Fällen, wo man gar nicht unbedingt daran arbeiten will, einfach um Konkurrenz rauszuhalten. Die sogenannten „evergreening“ Patente (10) sind so konzipiert, dass der Schutz nach 25 Jahren nicht ausläuft, sondern immer weiter aufeinander aufbaut bis zu 100 Jahren. Nicht-Juristen sind überfordert. Wenn man ein Patent anmelden wollte, wüsste man nicht, ob da nicht schon hundert sind von unterschiedlichen Leuten, mit denen man erst mal in Lizenzverhandlungen gehen müsste.
Genauso wie es wichtig ist, alte Sorten zu erhalten, ist auch die Neuzüchtung wichtig und nötig. Und diese muss auch entschädigt werden, die Züchter müssen auch leben können. Doch soll der Bauer wirklich sein eigenes Saatgut nicht mehr nachbauen dürfen und ganz abhängig von der grossen Industrie werden?
Es war das Recht der Bauern die das Land bewirtschaften, Saatgut zu züchten. Dann wurde es zu einem Privileg. Wird es nun bald ein Verbrechen sein?
Weiterführende Links:
Europäisches Patentamt für Patentsuche →
Bundesamt für Landwirtschaft, Sortenschutz →
Schweizer Vereinigung für Samenhandel und Sortenschutz →
No patents on seeds →
Sorten- Saat und Pflanzgut in der Schweiz →
Biopatente und Agrarmodernisierung, Georg August Universität Göttingen, von Dr. Eva Gelinsky →
Saatgutrecht, Arche Noah →
FIBL, Techniken der Pflanzenzüchtung, eine Einschätzung für den ökologischen Landbau (2012) →