Biosicherheit

Philippinen_2015 (26)
Oder Bio-Unsicherheit?

Wieso?

84’000 Muttersauen. In einem Betrieb. Die Dimensionen sprengen meine Vorstellungskraft.
OK, sie sind verteilt auf 21 sechsstöckige Gebäude, und jedes Gebäude ist nochmal unterteilt in 2 Produktionseinheiten. Aber nur die obersten zwei Etagen sind für die Zuchtsauen reserviert, das heisst, es gibt total 84 Einheiten mit je 1000 Muttersauen samt ihren Jungen. Dann kommen die noch viel zu kleinen Ferkel per Lift 2 Stockwerke runter. Den 3. Teil ihres kurzen Lebens verbringen die Mastschweine dann auf einer der drei untersten Etagen des Blocks.

Das Futter wird in der Futtermühle auf dem Areal hergestellt, das Schlachthaus für geplante 2,1 Millionen Tiere pro Jahr und die folgende Fleischverwertung ist ebenfalls vor Ort. Das Abwasser werde so gereinigt, dass es trinkbar sei. Ein geschlossener Kreislauf, wenn man so will. Mit modernster Technologie, Big Data und viel künstlicher Intelligenz. So sollen zum Beispiel Krankheiten dank Gesichtserkennung und -Interpretation von künstlicher Intelligenz identifiziert und die betroffenen Schweine umgehend von einem Roboter behandelt werden. 5’000 Menschen arbeiten in der Muyang Foods Ltd Fabrik in Nanyang, China. Die 2’100’000 Schlachttiere jedes Jahr gehen auf den lokalen Markt: über 10 Millionen Menschen leben in der Metropolregion.

Auch bei uns ist die legale Minimalfläche nicht mal 1m2 für ein Tier, welches doch von Wildschweinen abstammt, die innert einer einzigen Nacht einen ganzen Acker umpflügen können.

Wenn man keinen Abstand halten kann

Je dichter die Bevölkerung, umso einfacher verbreiten sich Bakterien, Parasiten, Viren, Prionen, Toxine… , unabhängig davon, ob bei Menschen, Hühnern oder Schweinen. Und weil die Schweine ihre Platzverhältnisse nicht selber bestimmen können gibt’s «Biosicherheit». So nennt man die Eindämmungsprinzipien, Technologien und Praktiken, die den Kontakt mit Pathogenen und Giften sowie deren Freisetzung verhindern. Biosicherheit sei «die Idealsituation, in welcher effiziente Massnahmen umgesetzt werden, um Viren zu verhindern und ihre Verbreitung zu kontrollieren»(). Der oben erwähnte Schweinemastbetrieb ist ein Musterbeispiel für Biosicherheit höchsten Grades ().  Nach FAO gibt’s 4 Kategorien von Biosicherheit()

  • In der ersten Kategorie sind Betriebe, wie der oben beschriebene in Nanyang. Es ist eine geschlossene Zucht mit Intensivproduktion und direkt integriert in die verarbeitende Industrie.
  • Die nächste Kategorie ist eine geschlossene, intensive Zucht, welche aber nicht in die Industrie integriert ist.
  • Die dritte Kategorie ist «durchschnittlich intensiv» und nicht integriert in die Industrie und
  • als letzte kommt die extensive Zucht, wo die (nicht so zahlreichen) Tiere draussen leben, häufig mit andern Tieren zusammen.

Die FAO, OIE und Weltbank haben einen «Good practices for biosecurity in the pig sector»()  erstellt.  Nur Betriebe des oben-beschriebenen 1. Sektors erfüllen alle Kriterien. Damit wurde die Agroindustrie zum Modell in der Gestion der Infektiösen Krankheiten, während die Tierhaltung auf der Weide zur Plage deklariert wird.

Viele Infektionsreservoirs werden in Ländern des globalen Südens gefunden, in denen ein grosser Teil der Bevölkerung noch Selbstversorger*innen sind und somit auf ihre Tiere angewiesen sind.  Gemäss der «Good practices» müssen diese Länder ihre Tierhaltung revolutionieren.

«Die Bauern müssen ihre Produktion und Produktivität erhöhen, um Gewinn zu machen, das höhere Einkommen erlaubt ihnen, in der Biosicherheit zu investieren» zitiert Lucile Leclair in ihrem Buch «Pandemies, une production industrielle»() eine FAO-Quelle.  Den meisten betroffenen Menschen fehlt das Geld. So müssen in jeder Epidemie weitere Klein- und Kleinstbetriebe aufgeben und Privathaushalte ihre Tiere schlachten – auch wenn ihr Lebensunterhalt davon abhängt und sie in noch grössere Armut fallen.

«Die Agroindustrie wurde zum Modell deklariert und die Tierhaltung auf der Weide zum Sündenbock.»

Folgen der Massentierhaltung

Devlin Kuyek (GRAIN) sagt, die industrielle Fleischindustrie sei ein Hauptüberträger und eine Hauptquelle für neue, hochpathogene Krankheiten, die sowohl Tiere als auch Menschen befallen können. Die Krankheitsausbrüche und die von Unternehmen und Regierungen unter dem Deckmantel der “Biosicherheit” geförderten Massnahmen, welche zur Dezimierung dieser wachsenden Krankheitsrisiken beitragen sollten, jedoch gleichzeitig die kleinbäuerliche Viehhaltung und die lokale Verarbeitung unterbinden, verhindern eben gerade, dass diese Probleme an der Quelle angemessen angegangen werden könnten. In seinem Vortrag() beleuchtete Kuyek , wie die jüngste Pandemie der Afrikanischen Schweinepest (ASP), die weiterhin die Schweinehaltung in Europa und Asien verwüstet, ein Produkt der geografischen Ausdehnung von Massentierhaltungen und der Lieferketten von Unternehmen in neue Gebiete ist. Es scheint als ob die ASP-Pandemie bewusst eingesetzt würde, um kleine Schweinehaltungsbetriebe auszulöschen und die Macht grosser Fleischkonzerne zu festigen – wohl wissentlich, dass diese Massnahmen die Ausbreitung der Krankheit nicht stoppen konnten. Welche Akteure diese Entwicklungen vorantreiben und was getan werden kann, um dem gefährlichen, vorherrschenden Paradigma, das den Umgang mit Tierseuchen prägt, entgegenzuwirken, diskutierte Devlin im Rahmen der Tagung Resilient Agriculture for Global Health.

Biosicherheit oder Tierwohl

Biosicherheit bringt weder die Tiere noch die Menschen ausser Gefahr. Sie stärkt die industrielle Tierhaltung, aber eine komplette Abschottung der Produktionsstätten ist nicht möglich. So wie bei den Olympischen Spielen die AthletInnen eingeflogen werden mussten und einige der Medaillen die Region nach den Spielen verliessen, müssen die Zuchtsauen und die Rohstoffe für die Futtermühlen angeliefert und z.B. ausserplanmässig gestorbene Tiere weggebracht werden. Das Risiko einer Epidemie besteht also durchaus auch in solchen Musterbetrieben. Deshalb wird diese Art von Tierhaltung auch vom Investorennetzwerk FAIRR als Hochrisikoinvestments eingestuft. An Industry Infected .

Ob das Fleisch von so unglücklich gehaltenen Tieren dann bekömmlich ist, das ist nochmal eine andere Frage.