Der Boden im Rebberg: Grund oder Standort?

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Artikel von Nicole Selmi

Wir wollen keine hors sol Tomaten. Doch was ist die Definition von Hors Sol? Ohne Erde im Gewächshaus – oder ist auch schon unser Wein „hors sol“?

Der Artikel basiert auf einem vom WWF Wallis und Vitival organisierten Vortrag über den “Boden im Rebberg: Eine Frage des Terroirs oder der Pratiques Viticoles” von Etnobiologist und Bodenspezialist Gaëtan Morard von der Association Permaculture Romande. Als Pedologe versucht er, den Boden und unsere Beziehung zu ihm sowie die Vor- und Nachteile verschiedener Anbaumethoden respektive ihre Wirkung auf die Bodengesundheit zu verstehen.

Unser Boden – mehr als ein physischer Untergrund

Der Boden ist die Schnittstelle zwischen mineralischen und organischen Materialien. Nirgendwo sonst vermischen sich mineralisches und organisches so intim. Sogar der Stein unter uns wird durch Baumwurzeln u.ä. zersetzt, bis er Argil ist, d.h. zu Tonerde / Lehm geworden ist.

Auf der einen Seite das Mineralische, auf der andern das Organische, Blätter, Pflanzenwurzeln – diese organo-mineralische Verbindung macht die Bodeneigenschaften aus. Wurzeln bringen Nahrung nach oben in die Pflanze, und ihre Blätter fallen schliesslich wieder auf den Boden. Das Ganze ist ein Kreislauf. Hier beginnt auch die grosse Arbeit der Würmer … plakativ gesagt: Aller Boden auf unserem Planeten ging einmal durch einen Erdwurmmagen.

Ein lebendiger Boden enthält Bodenpilze, Bakterien und Mikroorganismen, die vom Standort, dem Klima und der Bewirtschaftung abhängen. 80% der Biodiversität, weltweit, findet in der Erde statt.

Damit die Sonne konzentriert auf die Trauben scheint, hat man im Wallis die Reben möglichst bodennah gehalten und den Boden noch mit Steinen, die das Licht reflektieren, bedeckt. Die Reben wuchsen also auf praktisch mineralischem Boden, und damit das so bleibt wurden auch Pestizide und Herbizide eingesetzt. Diese „vereinfachen“ die Arbeit der Landwirte, aber sie vernichten auch das Bodenleben. Erfahrungen wie die mit „Moon Privilege“ zeigen klar die Grenzen eines Produktes. Der Schaden auf der Rebe ist von blossem Auge sichtbar; über die Konsequenzen für die künftigen Generationen, für den Boden und die Gesundheit des Menschen, der das Gift sprühte, wird geschwiegen.

Es braucht hunderte von Jahren, bis eine Humusschicht aufgebaut ist –  zerstört werden hingegen kann sie innert kürzester Zeit. Viele Böden sind heute einfach nur noch leblos, nichts anderes mehr als toter Grund. Die Reben werden gezielt künstlich ernährt – als wären sie hors sol.

Eigentlich verrückt, dass man noch von Terroir eines Weines spricht, wenn ein Grossteil der Böden tot ist, der Wein mit zugesetzten Hefen gemacht wird und nur wenige Mikroorganismen vorhanden sind … Denn zu Terroir gehört Klima, Boden, Rebsorte und Arbeitstechnik, all dies gibt dem Wein den goût. Wenn aber der Boden nur noch ein physischer Support ist, dann gibt er nur noch heraus, was wir hinein gegeben haben. Es besteht ein grosser Unterschied zwischen einem Wein, der auf einem lebendigen Boden gewachsen ist und einem Wein de cépage, der im Keller gemacht worden ist.

Rebberge – nur noch Wüstenboden?

Ein lebendiger Boden ist fruchtbar und speichert Feuchtigkeit, braucht weniger zusätzliches Wasser und weniger Dünger. Die Arbeit der Bodenlebewesen (Stickstoff binden, „Abfall“ entsorgen, …) ist unbezahlbar. Bepflanzte Böden mögen aufwändiger sein in der Pflege – eben weil der Boden fruchtbar ist gedeihen auch „Beikräuter“, die in Schach gehalten werden müssen –, trotzdem ist die Bilanz positiv. Denn die Bepflanzung schützt den Boden; das Wurzelwerk und die Mikroorganismen im Humus behindern die Erosion. Eine krümelige Bodenstruktur ist Grundbedingung zum Wasserspeichern. Auf nacktem, ungeschütztem Boden wird das Wasser Nährstoffe und Ton wegschwemmen.

Traditionelle Rebbergböden im Wallis sind ein bisschen wie Wüstenboden. Will man einen solchen „Wüstenboden“ wieder beleben (und z.B. biologischen Landbau betreiben), muss man den Boden in Ruhe lassen, d.h. nicht umgraben und nicht bearbeiten. Zuerst wachsen Pflanzen, die auf nährstoffarmen Boden gedeihen – sogenanntes „Unkraut“ – und während der ersten Jahre nach der Umstellung ist die Produktivität geringer und die Arbeit grösser. Erst nach 4-5 Jahren vervielfacht sich das Bodenleben explosionsartig, weil genügend Mikroorganismen vorhanden sind. Doch es gibt Methoden, um das zu beschleunigen:

  • Kompost fördert natürlich den Humusaufbau
  • Holzschnitzel und Stickstoff bewirken, dass auf ehemals totem Boden schon nach einem Jahr Bodenpilze wachsen und der Boden wieder auflebt
  • Biodynamische Präparate wie mit Mist gefüllte Hörner redynamisieren das Bodenleben.

Ein lebendiger Boden riecht nach Wald und ist fast schwarz: Er enthält organische Materie, er ist reich. Tiefer unten wird er heller, mineralischer, geruchloser. Die oberste Schicht (5-6 cm) ist schon nach wenigen Jahren wieder belebt und weniger erosionsanfällig.

Jede Parzelle benötigt spezifisch angepasste Massnahmen. Eine Bodenprobe ist hier sehr aufschlussreich: Dabei wird tief hinunter gegraben (1 m ist „Standard“) – so sieht man, wie weit die Wurzeln reichen. Der Tongehalt des Bodens kann mit dem „Röllchentest“ bestimmt werden: Wenn man die Erde zu einem 2–3 mm dicken Würstchen rollen kann, das zusammenhält, besteht der Boden zu mindestens 10% aus Ton. Soviel ist nötig, damit Nährstoffe und Wasser gespeichert werden können. Sandige Böden enthalten fast keinen Ton und können kein Wasser speichern. Wenn man das Würstchen in einen Kreis biegen kann ohne dass es zerbricht, enthält der Boden über 30% Ton. Das ist zu viel, weil die Erde dann zu komprimiert, zu stark verdichtet ist, was den Zugang zu Wasser und Nährstoffen erschwert. Für Rebhänge ist ein Tongehalt von 10-30% ideal.

Der PH-Wert zeigt auf, ob der Boden eher kalkig oder sauer ist. Reben ziehen kalkige Böden vor. Das ist auch wichtig zu wissen, wenn man Reben in Mischkultur mit anderen Pflanzen kultivieren will. Hat man z.B. einen zu sauren Boden, wäre eine Nebenkultur ideal, die diese Säure abschwächt. Ist der Boden zu kalkig, kann man das mit Holzhäckseln ausgleichen. Mögliche Assoziationen sind zum Beispiel Reben und Trüffeleichen.

Damit die Bodenfruchtbarkeit konstant bleibt, muss der Kreislauf geschlossen sein, d.h. alles, was weggebracht wird, muss wieder zugefügt werden. Die abgeschnittenen Reblinge werden zerkleinert, damit sie wieder zu Humus abgebaut werden können. Aber auch die Reste aus dem Keller, der Weintrub und Traubentrester, müssten idealerweise kompostiert und wieder in den Rebberg gebracht werden.

Ein Rebberg ist mehr als Reben

Man hat die verschiedenen Kulturen zu Gunsten von Monokulturen dissoziiert – doch ein ausgeglichenes Ökosystem bedeutet, dass man in die Reben wieder Tiere und Bäume bringt. Mit anderen Worten, ein Rebberg ist mehr als Reben, er ist auch Boden, Mensch und Technik. Die Technik ist entscheidend, von ihr hängt das Gleichgewicht zwischen der Produktivität der Reben und dem Schutz des Bodens ab.

Reben sind angepasst an den Boden, an die Verfügbarkeit von Düngern, an die Sonneneinstrahlung, usw. Ein lebendiger Boden enthält viele Wurzeln. Sobald eine Konkurrenz entsteht zwischen Rebe und anderen Pflanzen, gehen die Rebwurzeln tiefer, um Nährstoffe zu holen. Je mehr man künstlich bewässert und düngt, desto oberflächlicher bleiben die Wurzeln. Sie holen sich das Wasser nicht mehr in der Tiefe. Um tiefe Wurzeln zu bilden muss die Pflanze am Anfang “leiden”, und ist so später fähig, sich bei Hitze und Trockenheit selber zu ernähren. Beim Wechsel von traditionellem zu Biorebbau überlebt erfahrungsgemäss ca. 1/4 der Reben nicht, weil sie sich nicht direkt vom Boden ernähren.

Jede Pflanze braucht auch Bodenbakterien und -pilze, um die Nährstoffe aufnehmen können, so wie wir die Darmbakterien. Ohne sie könnten wir unser Essen nicht verdauen, müssten uns also intravenös ernähren – genau das, was man häufig mit den Reben macht: Wenn die Bodenlebewesen als Verbindung zwischen Nährstoffen und Rebe fehlen, muss diese mit direkt verfügbarem Dünger versorgt werden. Kompost muss zuerst abgebaut werden, während z.B. Stickstoff und synthetischer Dünger direkt absorbiert wird. Das Problem ist, dass die einfachen Moleküle von Stickstoff, Phosphor und Kalium (NPK) zwar ausreichen, dass die Rebe wächst und gute Trauben für guten Wein macht, aber die organoleptische Qualitätsdifferenz (Geruch, Geschmack, Nährwert) zwischen einer Rebe, die nur mit flüssigen Nährstoffen ernährt wird oder einer, die ihre Nahrung aus dem Boden holt, ist riesig – wie bei Tomaten und anderen hors-sol-Produkten.

Eine Begrünung des Rebbergs hat viele Vorteile, speziell für den Schutz des Bodens und die Unkrautkontrolle. Damit sie jedoch nicht zur Konkurrenz um Wasser und Nährstoffe wird, die Weinlese behindert oder die Qualität des Weins beeinträchtigt, sollten konkurrenzschwache Bodendecker verwendet werden. Eine in der Praxis brauchbare Begrünung im Rebberg zu installieren und über längere Zeit zu erhalten ist eine Herausforderung, denn es gibt keine generelle Ideallösung. Weitere Untersuchungen und Entwicklung von geeigneten Anbau- und Pflegemethoden (1, 2) sind erforderlich. Standortangepasste Bepflanzung braucht keine Bewässerung. Bei einer Spontanbegrünung wachsen automatisch Pflanzen, die an den Standort angepasst sind, auch in Sachen Wasserverbrauch. Eine Gründüngung bringt ausserdem Nährstoffe in den Boden, z.B. Stickstoff durch Leguminosen wie Erbsen, Ackerbohnen, Klee, Wicken oder Lupinen. Schafe oder Gänse können das Gras fressen und Dünger hinterlassen.

Früher hat man die Trauben so nah wie möglich an den steinigen, in der Sonne wärmespeichernden Boden gebracht und hat sehr zuckerreiche und alkoholisierte Weine gesucht – auf Kosten anderer Eigenschaften, wie z.B. einer (ausgleichenden) Säure. Jetzt werden die Reben höher gezogen und das macht weniger Probleme. Mit der Klimaerwärmung hat man mehr Sonne und so gibt es immernoch genug Wärme.

Biodiversität im Weinberg

Wenn man von Biodiversität im Weiberg spricht, dann geht es um Varietäten (wie resistente Rebsorten), um Ökosysteme und um Artenvielfalt. Hecken und Biotope sind langsam verschwunden und mit ihnen die darin lebenden Nützlinge wie Insekten, Pilze und Vögel; die Biodiversität hat massiv und sehr schnell abgenommen, die Parasiten haben keine natürlichen Feinde mehr. Stellen wir uns vor, eine Stadt wurde durch Feuer oder ein Erdbeben verwüstet: Die ersten die zurückkommen, bevor der Wiederaufbau beginnt, sind die Parasiten, die Plünderer, die noch holen was zurückgeblieben ist. Beim Boden ist das ähnlich; ein toter Boden ist eine schwierige Zone ohne Nährstoffe. Das erste was kommt sind Parasiten. In einem Weinberg ein natürliches Gleichgewicht wiederherzustellen bedeutet auch, Konkurrenten und natürliche Feinde der Parasiten wieder anzusiedeln.

Eine weitere Herausforderung ist die Traubensorte: Die gängigen Sorten wurden wegen ihrer Produktivität, ihrem Geschmack oder ihrem Geruch gewählt, ihre Resistenzen wurden nicht beachtet. Heute werden gegen verschiedene Krankheiten und auch gegen Trockenheits- und Hitze-Stress resistente Rebsorten weitergezüchtet, und neue, Standortangepasste entwickelt.

Ist das das Ende der Petite Arvine? Vom Johannisberger? Vom Fendant? Diese Weine gehören zum „Patrimoine valaisan“…  Die Römer hatten andere Methoden Wein zu machen und zu konservieren, mit Honig, Rosmarin, Thymian. Die heutigen Weine sind anders als die im Mittelalter und anders als die vor 100 Jahren, und die Weine der Zukunft werden anders sein als die heutigen. Bestimmte Rebsorten werden verschwinden – man hat das gesehen beim Phylloxera: 10% unserer Rebsorten waren resistent. Alle andern sind verschwunden. Man hat aus den übriggebliebenen Rebsorten selektioniert und damit ganz andere Weine hergestellt als vor der Phylloxera. Das gehört zur Evolution des Weines.

Reben werden normalerweise als Monokultur gepflanzt. Daraus eine Polykultur zu machen ist eine grosse Herausforderung. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch.

Um heute im Rebbau wirtschaftlich zu arbeiten, gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Immer mehr und mehr zu produzieren, auf Kosten der Qualität
  • Staatliche Subventionen – aber soll man, weil man von seiner Arbeit nicht leben kann, zum Funktionär werden, vom Staat bezahlt mit allen Konsequenzen, die das sozial und ökonomisch nach sich zieht?
  • Ein zweites Standbein dank Polykultur. Es gibt viele gute Ideen, die zu überlegen und auszuprobieren sich lohnen, die Reben mit anderen hochwertigen Kulturen zu ergänzen. Das könnte zum Beispiel Safran im Rebberg, Pfirsichbäume oder Aromakräuter zwischen den Reihen sein. Im mediterranen Klima im Wallis wachsen Safran, Feigen, Mandeln … In Südfrankreich kultiviert jemand Reben und Lavendel zusammen. Zur Zeit der Römer gab es im Wallis viele Maulbeerbäume, und im Herbst, nachdem Trauben und Maulbeeren geerntet waren, kamen die Schafe.

 

Jede Parzelle ist verschieden, deshalb ist wichtig, genau zu beobachten wie die Reben und die Biodiversität reagieren. Ziel ist es, ein nachhaltiges Rebbausystem (système viticole) zu finden.