Fairer Handel für uns alle!
Jeweils am 10. Dezember ist der Internationale Tag der Menschenrechte. Dazu gehören auch die Rechte der Bäuerinnen und Bauern! Ein Beruf, der zu gering geschätzt wird, obwohl er für uns Menschen lebenswichtig ist; ohne Essen wird es eng. Ausser wir beginnen uns selbst zu versorgen, warum nicht, aber bis dahin brauchen wir unsere Landwirt.innen und sie brauchen im Gegenzug unsere Anerkennung, sowohl gesellschaftlich als auch finanziell.
Der Beruf der Bäuerinnen und Bauern – ein geringgeschätztes Metier
Die Covid-Krise hat die Bedeutung der lokalen Versorgung hervorgehoben und die Arbeit der Landwirt.innen wieder ins Rampenlicht gerückt. Mein Nachbarbauer hatte mich während der Covid-Einschränkungen überrascht, als er mir anvertraute, dass er seither in seinem Traktor gegrüsst werde, während er früher manchmal beschimpft worden sei. Während der Gesundheitskrise verlangsamte sich die Welt, die Verbraucher.innen hatten mehr Zeit für das Wesentliche, unter anderem für die Ernährung. Das war der Aufschwung der Hofläden, der Unverpackt-Läden, der Korblieferungen und Vertragslandwirtschaftsprojekte. Aber seit die Welt wieder ihren höllischen Rhythmus aufgenommen hat und die alten Gewohnheiten des Profitstrebens und des Schnäppchenjagens überhaupt wieder eingesetzt haben, ist das langsame Sterben der Kollektiv- und Hofläden zu beobachten. „Noch im letzten Jahr hat in der Schweiz 1% aller landwirtschaftlichen Betriebe aufgegeben“. Die jungen Generationen haben wenig Interesse an diesem gering geschätzten Beruf und finden in der aktuellen Schweizer Ausbildung keine angemessene Antwort auf ihre sozial-ökologischen Ideale.
An der Tagung zum Welternährungstag in Meyrin wurde das Thema vehement diskutiert und es kam klar heraus, dass die Produzent.innen als aktive Akteur.innen im Ernährungssystem, und nicht nur als “output provider”, erkannt werden müssen. Die “Sensibilisierung” der KonsumentInnen allein reicht nicht, um ihre Einkaufsgewohnheiten zu ändern; ohne klare gesetzliche Rahmenbedingungen bleibt das Marktungleichgewicht zu Gunsten der Grossverteiler.
Nach jahrzehntelanger Globalisierung der Lebensmittelindustrie brauchen wir eine angemessene starke Antwort zur Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft. Dazu passt u.a. die politische Forderung, dass Firmen dort, wo sie das Geld verdienen, ihren finanziellen, sozialen und ökologischen Verpflichtungen nachkommen müssen.
Theoretisch ist das alles möglich, sofern der politische Wille vorhanden ist. Die Bewegung “Fair Trade Towns” stosst in diese Richtung.
Gerechter und fairer Handel
Im vergangenen November wurde der Stadt Genf der Titel „Fair Trade Town“ verliehen, womit sie die 20. ausgezeichnete Schweizer Stadt ist und die bisher grösste. Da Genf die Stadt der internationalen Organisationen ist, ist dies ein starkes Signal für die Schweiz und die Welt. Mehr als die Übergabe eines „offiziellen Papiers“ ist es eine Verpflichtung für die Stadt und insbesondere für ihren kommenden Stadtpräsidenten Alfonso Gomez. Letzterer schloss seine Rede an den Titelverleihung mit dem Hinweis, dass sich der Begriff des fairen Handels nicht auf die Nord-Süd-Beziehungen und die in der Öffentlichkeit bekannten Bananen, Kaffee und Schokolade beschränke, sondern mehr denn je auf lokaler Ebene auf die Einführung eines nachhaltigen Konsumsystems abziele, das die Umwelt und die Menschenrechte besser respektiere: „Die Aufwertung der landwirtschaftlichen Funktion mit der Zahlung eines gerechten, einträglichen Einkommens ist eine grosse Herausforderung für die kommenden Jahrzehnte. Für die Stadt Genf sind lokal und fair zwei sich perfekt ergänzende Anforderungen. Der Verein Fair Trade Town geht noch weiter und spricht von Local Fair Trade (LFT), der lokalen Antwort auf eine Aufwertung der kurzen Vertriebswege und damit unserer Schweizer Landwirt.innen und Produzenten.innen, und zwar in der gesamten Kette von der Produktion über die Verarbeitung bis hin zum Verkauf.
«Local Fair Trade (LFT), die lokale Antwort zur Aufwertung der kurzen Wege und damit unserer Schweizer Landwirt.innen und Produzenten.innen»
Denn wer LFT sagt, meint zwangsläufig einen fairen, korrekten Preis, in erster Linie für die Produzent.innen, deren Bezahlung und Arbeitsbedingungen von entscheidender Bedeutung sind. Es ist nur richtig, den Wert der Arbeit und den Wert des Bodens in den Preis unserer Lebensmittel einzubeziehen und unsere Landwirt.innen gerecht zu entlohnen, damit sie davon leben, ihre Schulden bezahlen und sich eine würdige und nachhaltige Zukunft sichern können. So wird der Beruf aufgewertet und langfristig gesichert. „Dank eines nachhaltigen und fairen Konsums können wir positive Veränderungen einleiten“ – dieser Slogan hat uns gefallen – auch als Leitmotiv.
Die fünf Kriterien, um eine Fair Trade Town zu werden:
- Die Stadt oder Gemeinde spricht sich für den fairen Handel aus und verpflichtet sich, mindestens drei Produkte aus fairem Handel in ihren Verwaltungsabteilungen anzubieten. Sie verpflichtet sich ausserdem, eine offizielle Veranstaltung zur Verleihung der Auszeichnung als Fair Trade Town zu organisieren.
- Eine Arbeitsgruppe wird gebildet, die das Engagement der Stadt oder Gemeinde für den fairen Handel koordiniert, sich regelmässig trifft und mindestens einmal pro Jahr eine Aktivität im Zusammenhang mit dem fairen Handel organisiert (z. B. die im November in Genf organisierte Fair Week, um die Absurdität des „black friday“ anzuprangern und unsere Konsumgewohnheiten zu hinterfragen).
- Einzelhändler.innen und Gastronom.innen
bieten mehrere Fair-Trade-Produkte an und beteiligen sich an lokalen Aktionen zur Förderung des fairen Handels. - Institutionen und Unternehmen verwenden und bevorzugen Produkte aus fairem Handel, sie beteiligen sich an lokalen Aktivitäten und Runden Tischen zum fairen Handel.
- Sensibilisierung der Bevölkerung zum Thema fairer Handel über die lokalen Medien und Informationen auf der offiziellen Website der Stadt oder Gemeinde. Die jährliche Veranstaltung und die Verleihung der Auszeichnung werden in den Kommunikationskanälen der Stadt veröffentlicht.
Eine Entwicklung des Wirtschaftsmodells und der Gesetzgebung
Lara Baranzini, Sprecherin und Koordinatorin der Weltläden in der Westschweiz, nahm die Gelegenheit der Feierlichkeiten zur Fair Trade Town Genf wahr, um uns aufzufordern, gemeinsam über ein neues Wirtschaftsmodell nachzudenken, das völlig anders ist als das heutige, denn wenn man die Produzent.innen gerecht entlohnen will, wirkt sich das auf den Verkaufspreis aus. Um diese Auswirkungen zu begrenzen, hat die Ladenkette der Weltläden heute keine andere Möglichkeit, als mit Freiwilligen zu arbeiten. Genau dasselbe Problem haben auch partizipative Genossenschaftsläden in Ökoquartieren und Hofläden wie zum Beispiel die “Ferme de Budé” in Genf. Wie können wir die Diskussion voranbringen?
Die Stadt Genf weist mit ihrer Charta für nachhaltige Ernährung bereits in die richtige Richtung, und die dort festgelegten Ziele dienen als Referenz. Was den Lokalen Fairen Handel (LFH) angeht, können wir von unseren europäischen Nachbarn noch viel lernen. Als Reaktion auf die Preisvolatilität wurden in der EU in zahlreichen Wertschöpfungsketten Labels geschaffen, die auf Vereinbarungen zwischen den involvierten Landwirt.innen, Lagerhalter.innenn, Verarbeiter.innenn und Händler.innenn beruhen und auf einer festen Laufzeit basieren, die den verschiedenen Akteur.innen innerhalb der Wertschöpfungskette Sicherheit bietet. Samule Poos, Koordinator des Trade for Development Centre d’Enabel (belgische Entwicklungsagentur), stellte an dem Verleihungsabend das belgische Modell und die Ergebnisse ihrer Studie zum lokalen belgischen und europäischen fairen Handel vor. Wie der Bericht zeigt, geht es den lokalen Fairhandelsinitiativen in Europa um faire Preise und Entlohnung: Ausgehend von den Produktionskosten und nicht vom Markt wird ein fairer Preis und eine faire Entlohnung in Absprache mit den Produzent.innen festgelegt. Diese müssen organisiert sein, häufig in Form einer Genossenschaft.
Wie in einigen Regionen zu beobachten ist, fördern diese Zusammenschlüsse die Verankerung kurzer Kreisläufe und die Aufwertung in diesen Gebieten, indem sie Synergien zwischen den Akteur.innen anregen und gar die Entstehung weiterer Projekte initiieren. Einige haben sich sogar das Ziel einer regionalen Ernährungssouveränität gesetzt. Es entstehen Bewegungen, die etwa in der Eröffnung von Supermärkte münden. Damit wird hier ein Wirtschaftsmodell gewagt, das den Zugang zu lokalen und qualitativ hochwertigen Lebensmitteln nicht nur für privilegierte Schichten anbietet, sondern auch für die Bevölkerung mit geringerem Einkommen aus benachteiligten Stadtvierteln.
Ohne Gewinnmaximierung und die Vervielfachung von Zwischenhändlern können die Produkte zu angemessenen Preisen verkauft werden und alle Bevölkerungsgruppen können davon profitieren.
Schliesslich stellt sich die Frage der Gesetzgebung. Bisher ist Frankreich das einzige europäische Land, das ein Gesetz verabschiedet hat, das den Begriff des fairen Handels beschreibt und anerkennt und sogar den Begriff „nachhaltige, autonome und transparente landwirtschaftliche Praktiken, die sich auf biologische und/oder agrarökologische Produktionsmethoden stützen“ in seine nationale Charta für fairen Handel in Frankreich aufgenommen hat. Ein solches Gesetz auf europäischer Ebene, inklusive der Schweiz, würde die Situation klären und einen soliden Rahmen schaffen, der es ermöglicht, eine Alternative zum produktivistischen Modell (welches ausschliesslich von der Lebensmittelindustrie und den grossen Handelsketten gesteuert wird), anzubieten. So würden Konsument.innen, aber vor allem Bäuerinnen und Bauern wieder mehr Macht und Wertschätzung erlangen. Ein Gesetz zum Schutz des Berufsstandes und zum Fortbestand lokaler und nachhaltiger Nahrungsmittelsysteme, das zukünftigen Bäuerinnen und Bauern Hoffnung gibt. Wir vom agrarinfo.ch sagen “Ja”.