Die Gesellschaft bestimmt die Zukunft
Agrarinfo Podiumsdiskussion 2016.
Notizen der Podiumsdiskussion vom 27.8.16 die Christian Hiss’ Vortrag über Regionalwert AG (siehe unser Artikel aus der Region für die Region – Beispiel Regionalwert AG) folgte.
Teil 2: Landwirtschaft als gesellschaftliche Angelegenheit
Inhaltsverzeichnis
Solidarische Landwirtschaft
Vor knapp 40 Jahren wurde das erste solidarische Gemüse-Abo gestartet, unterdessen gibt’s – schweizweit – über 50. In Genf allein haben sich 12 zum Teil ganz unterschiedliche Projekte etabliert und weitere sind in am Anlaufen oder in Vorbereitung; Es geht um Gemüsekörbe, Obst und Beeren, Kuhmilch und Geisskäse, frisches Bio-Fleisch und Getreideprodukte in Bioqualität. Je nach Projekt wird nach Hause geliefert, oder selber gepflückt, oder auf dem Hof, im Quartierladen oder in der Stammbeiz abgeholt.
Das Produkt sei sekundär: es gehe darum, dass die Konsumenten eingebunden seien, sagt Reto Cadotsch: „Sie sind bereit, das Risiko der Produktion zu übernehmen und dem Produzenten einen fairen Lohn zu garantieren. Das ist das das Prinzip der Vertragslandwirtschaft. Mal gibt’s mehr, mal weniger, die Jahre gleichen sich nicht.“ Hier liegt der grosse Unterschied zur Vertragslandwirtschaft wie sie die Verarbeitungsindustrie für Hühnerfleisch, Eier, Kartoffeln, Zuckerrüben, usw macht, wo das Risiko allein beim Produzenten ist und der Abnehmer erst nachträglich die definitiven Preise bestimmt. „Bei uns war das Produkt nie die Hauptsache“, sagt Reto Cadotsch, „Hauptsache war, dass die Konsumenten das Risiko mittragen.” Den Preisvergleich mit dem Grossverteiler muss kaum ein Gemüse-Abo scheuen. Das grösste Engagenemt zeigt sich beim Foodwaste, denn die Produkte, die -bei vielen Projekten wöchentlich – geliefert werden, müssen auch gegessen oder weiterverarbeitet werden.
Bachser Märt
Es muss nicht sein, dass alle Dorfläden schliessen und irgendwann durch einen migrolino ersetzt werden, der auch gleich noch als Postschalter doppelt. Die Geschichte vom Bachsermärt zeigt, dass, wenn sich die Konsumenten organisieren, durchaus spannende Alternativen möglich sind:
Der (original) Bachsermärt entstand, weil der Dorfladen in Bachs (ZH) geschlossen werden sollte und sich die Leute im Dorf hartnäckig dafür einsetzten, einen zu Fuss erreichbaren Laden für die Grundversorgung zu behalten. Gleichzeitig sollte es ein möglicher Treffpunkt für die ans Dorf gebundenen Leute werden.
Unterdessen hat sich das Konzept an weiteren Standorten bewährt. Zwar soll sich der Bachsermärt jeweils wie ein Chamäleon anpassen, aber er basiert immer auf drei Säulen:
- Frische und verarbeitete Produkte aus bäuerlicher Landwirtschaft und Kleingewerbe der Umgebung;
- Bioprodukte, zum Teil auch von ferngelegenen Lieferanten;
- Diverse Nicht-Lebensmittel aus dem Sortiment von Volg.
In der Vision vom Bachsermärt ist die Ernährung eine Allmende. “Die Allmend als gemeinschaftliches und gemeinsam genutztes Land ausserhalb der Stadt. Ernährung ist ein Menschenrecht und nicht ein Business. Wie können wir das vom Geschäft weg lösen?” fragt Patrick Honauer und erzählt von Bachsermärt’s Gemeinschaftsbrot:
„Wir haben Tonnen Getreide und wollen diese Allmende an einem konkreten praktischen Beispiel versuchen durchzuspielen: weg von der Handelskette hin zum Gemeinschaftlichen. Das Brot soll keinen Preis haben. Aber wie partizipieren die KundInnen daran? Saatgut, Bauer, Mühle, Bäcker, und auch unsere eigene Logistik, damit die Regionalprodukte vom Bauern oder auch vom Beck die 10, 20km zum Laden kommen: Wer trägt diese Verantwortung und dieses finanzielle Risiko?”
Öko-Quartier
„Bund und Kantone streben ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen anderseits an.“ So will es der Artikel 73 der Bundesverfassung. Das Bundesamt für Energie (BFE) und das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) unterstützen denn auch die nachhaltige Quartierentwicklung.
In verschiedenen Städten wurden bereits Projekte umgesetzt, verdichtet gebaut, energetisch zukunftsfähiger und den sozialen Bedürfnissen ihrer Bewohner möglichst gerecht werden wollen. Auch gibt’s Städte wie Yverdon, Martigny oder auch Lausanne, in denen nach dem Vorbild vom Incredible Edible Network Grün- und Brachflächen essbar gemacht geworden sind.
Das Ökovillage „Les Vergers“ in Meyrin kombiniert beides. Meyrin ist eine vorbildliche Stadt in Sachen Nachhaltige Entwicklung und entsprechend ganzheitlich soll auch ihr neues Ökoquartier mit über 1250 Wohnungen werden. Die Hälfte der Riesenüberbauung am Kreisel vor dem CERN gehört im Baurecht verschiedenen Genossenschaften (sie heissen „Gleichgewicht“, „Nachbarschaft“, „Auszubildende“, oder auch einfach „Coopérative de l’Habitat Associatif“= COHA um nur einige zu nennen).
Das Quartier braucht Infrastruktur und Grünflächen. Auch Einkaufsmöglichkeiten und Kleingewerbe gehören zu einer [link to update] nachhaltig verdichteten Siedelung. Die Stadt gab den Kooperativen die Möglichkeit, sich einzubringen. Reto Cadotsch:
„Wenn man ein Quartier baut muss man wissen, wer das Quartier ernährt. Es sollten dafür nicht Landwirtschaftsflächen aufgegeben, sondern neue Höfe gestartet werden… Jede Stadt sollte eigentlich eine Karte erstellen auf der genau aufgezeichnet wird woher ihre Ernährung kommt – wie das in Freiburg i.B. gemacht wurde – nur leider siehts wahrscheinlich überall so aus, dass man dabei herausfindet dass man nichts weiss. Das Problem ist nicht das Produkt, nicht die Kaufkraft oder sonstwas, sondern in erster Linie das Bewusstsein der Konsumenten. Sie sind sich nicht bewusst, was wie die Nahrungsmittelkette funktioniert, was Ernährungssicherheit bedeutet, wer entscheidet was wir morgen essen, und wo diese Entscheidungen getroffen werden. Wir wollen die Konsumenten einbinden und mitentscheiden lassen.“ Deshalb gibt’s im Öko-Quartier von Meyrin einen als Kooperative geführten Laden und keinen Grossverteiler, essbare Grünflächen zwischen den Gebäuden, einen gemeinsamen Essraum wo reihum gekocht werden soll und mehrere solidarische Landwirtschaftsprojekte in unmittelbarer Nähe, die für die neuen Bewohner offen sind.
Weitere Links
- Nachhaltige Quartiere:
- Les incroyables comestibles: http://lesincroyablescomestibles.fr/europe/suisse/
- Basimilch, Dietikon: http://basimil.ch/
- Gemeinschaftsgarten Minga, Meilen: http://www.minga.ch
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