Ernährung bleibt politisch
Agrarinfo Podiumsdiskussion 2016.
Notizen der Podiumsdiskussion vom 27.8.16 die Christian Hiss’ Vortrag über Regionalwert AG (siehe unser Artikel aus der Region für die Region – Beispiel Regionalwert AG) folgte.
Teil 4: Landwirtschaft als politische Angelegenheit
Schweizerische Agrarpolitik
Seit 1947 ist die Landwirtschaft in der Bundesverfassung verankert.
Seit 1996 hat sie ihren eigenen Artikel 104. Ausgelöst hatte diesen Schritt die Volksinitiativen “Für eine umweltgerechte und leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft” und “Bauern und Konsumenten – für eine naturnahe Landwirtschaft” und die ihr folgenden langen, spannenden, und bis heute aktuellen Diskussionen – die bis heute aktuell sind. (1)
Im Sommer 2004 verabschiedete die WTO das Framework der Doha-Runde (2). Die dortigen Anforderungen an die Landwirtschaft wurden in die Diskussionen für die AP 2011 aufgenommen (3), wissend, dass eine Lebensmittelproduktion zu Weltmarktspreisen nicht möglich ist. Dann kam die AP 14-17 – seit 2011 immer wieder Thema auf agrarinfo.ch.
2012 wurde nach jahrelanger Diskussion die “Qualitätsstrategie -Charta” veröffentlicht. “Eine gemeinsame Qualitätsstrategie alle Akteure der Wertschöpfungskette im Wettbewerb stärkt und hilft, neue Herausforderungen als Chance zu nutzen.” Mittels Partnerschaften innerhalb der Wertschöpfungskette und den in der Charta festgehaltenen Werten soll sie die Positionierung der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft auf den immer offeneren Märkten unterstützen. Vier Jahre später “bekommen Charta und Qualitätsstrategie eine Heimat”… Die Kerngruppe (Vertreter von Agrarallianz, MGB, Coop, SBV, SKS und Fromarte) sei zum Schluss gekommen, dass eine gewisse Struktur zweckmässig sei und deshalb soll jetzt ein Verein der Ausgangspunkt werden, “um die Land- und Ernährungswirtschaft als Ganzes zu sehen und sich gemeinsam wichtigen Themen der Wertschöpfungskette anzunehmen.”
Parlamentsdebatten und Volksinitiativen
Am 1.1.17 tritt die jahrelang debattierte Swissness-Gesetzgebung in Kraft – Um den Wert der Herkunftsbezeichnung «Schweiz» und des Schweizerkreuzes langfristig zu erhalten und ihre Stellung zu sichern (5) wurde eine neue Swissness-Gesetzgebung erarbeitet und jahrelang debattiert. Am 1.1.17 tritt sie schliesslich in Kraft.
Das Rad dreht sich im Kreis. Heute sind wieder mehrere Volksinitiativen zum Thema Landwirtschaft hängig. “Ist es sinnvoll, 4 Initiativen gleichzeitig zu haben? Ist das der richtige Weg?” Ohne das Thema weiter zu vertiefen an der Veranstaltung vom 28. August waren sich die Anwesenden einig: jede der aktuellen Initiativen ist wichtig, weil sie eine grundsätzliche Diskussion über die Landwirtschaft anstossen, die das Bewusstsein der Verbraucher fördert. Denn der Schlüssel für eine zukunftsfähige Agrikultur liegt im Bewusstsein der Verbraucher. Je besser informiert der Konsument ist, desto mehr wählt er die Produkte (auch nach Produzenten und Herstellungsmethoden), von denen er weiss, dass sie seinen Wünschen entsprechen.
Doch wer hat und nimmt sich Zeit, sich zu informieren? Zum Glück gibts Labels! Obwohl auch dort… Die Bioknospe zum Beispiel ist eine private Angelegenheit, BioSuisse eine private Organisation, die – so funktioniert die Wirtschaft – Gewinn machen und wenn möglich wachsen muss. Soviel ich weiss, gibt es in der Schweiz nur ein Label, das dem Staat – und somit den Bürgern – gehört:
Faire Preise für die Produzenten
Eigentlich könnten die Bauern selber den fairen Preis festlegen, der nötig ist für Produkte, die diese Marke tragen dürfen. Doch die meisten Betriebe sind zu gross, um noch direkt vermarkten zu können. Sie liefern die Mehrheit ihrer Produktion zur Vermarktung an Grossverteiler. Diese Abhängigkeit schwächt die Verhandlungsposition der Produzenten, die sich gedrängt sehen, ungeachtet dessen, was ein fairer Preis wäre, das ‘beste Angebot’ zu akzeptieren. “Wenn für Milch die beste Offerte CHF -.50 pro kg ist”, fragt Reto Cadotsch, “ist das ein Fairer Preis?! Für Biogetreide konnte CHF 1.20 durchgesetzt werden, tiefer darf das Getreide nicht unter dem Label GRTA verkauft werden. Aber für die meisten Produzenten ist die Abhängigkeit von der Vermarktung zu gross und sie können sich bei ihren Abnehmern nicht durchsetzen.” Weder für den Preis, noch für die Herstellungsart, noch die Qualität.
Die Genfer Produzenten versuchen mit der kantonalen Landwirtschaftspolitik zusammen zu arbeiten. „Wir haben immerhin erreicht, dass wir die Fahrradfahrer sind im Transportwesen. D.h. wir existieren, aber kaum unterstützt. Man realisiert, dass es eine kleinere Landwirtschaft gibt, aber gemacht wird dafür nichts.“ Reto Cadotsch würde interessieren, „dass man Karten macht, die aufzeigen, woher das Essen der grossen Ballungszentern herkommt. Vielleicht kann der SBV die Zahlen von den Grossverteilern herausfinden?“ Martin Brugger darauf: „In der Schweiz haben wir das versucht – vertieft in einer Diplomandenarbeit – mit beängstigenden Ergebnissen. Für Städte existiert nichts, auch nicht für Kantone. Aber man muss davon ausgehen dass, z.B. für Zürich, das Resultat nicht besser rauskäme als für Freiburg (6)“.
Eine immer wiederkehrende Debatte
Das hat nichts mit der Hochpreisinsel Schweiz zu tun sondern damit, dass die Ernährungswirtschaft keine Industrie ist wie die andern… Dass in der Realwirtschaft andere Prinzipien gelten als in der Geldwirtschaft tönt irgendwie bekannt wurde wie oben erwähnt auch im Vorfeld zum Artikel 104 diskutiert. Die Amtlichen Bulletins sind heute noch abrufbar, die Aktualität der Voten ist fast erschreckend:
- 7. Landwirtschaftsbericht →
- Amtliches Bulletin vom 22.9.1992, ab Seite 768 Diskussion über Direktzahlungen →
- Ratsdiskussion vom 15.6.1993 zu den Landwirtschaftsinitiativen →
- Bundesarchiv der Amtsdruckschriften betreffend Landwirtschaft von 1992 – 9.6. 1996 →
Agrarinfo Podiumsdiskussion 2016 - weitere Beiträge
Vortrag von Christian Hiss, Regionalwert AG →
Regionalität als Markt: Zukünftig Regional →
Landwirtschaft als soziale Angelegenheit: Die Gesellschaft bestimmt die Zukunft →
Landwirtschaft als ökonomische Angelegenheit: Zukunftsfähige Wertschöpfung →
Landwirtschaft als Debatte: Anregungen aus der Zuschauerdiskussion →