Welche Milchwirtschaft ergibt Sinn?
Veganer lehnen grundsätzlich den Konsum von tierischen Produkten und die Nutztierhaltung generell ab. Dabei lassen sie ausser Acht, dass in vielen Regionen, gerade auch in der Schweiz, die Milchwirtschaft die einzige Möglichkeit ist, dem voralpinen Grasland Nahrungsmittel abzugewinnen. Allerdings hat die Kritik der Veganerinnen und Veganer aktuell durchaus ihre Berechtigung. Eine wirklich nachhaltige Milchwirtschaft müsste deutlich anders aussehen.
Mit Recht ist die Nutztierhaltung in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten. Ginge es nach vielen Vegetarierinnen und vor allem Veganern, die ALLE tierischen Produkte ablehnen, gäbe es überhaupt keine Nutztierhaltung. Doch in vielen Kulturkreisen und grossen Teilen der Erde, in denen der Anbau von Gemüse und Getreide in einem Ausmass, dass die regionale Bevölkerung sich davon ernähren könnte, unmöglich ist, ist Nutztierhaltung somit überlebenswichtig. Das von Vegetariern und Veganern zu Recht geschätzte Quorn zum Beispiel ist ökologisch, biologisch und traditionell nur in Kombination mit Lamahaltung möglich. Die in Nordafrika und Vorderasien verbreiteten Ziegen liefern, indem sie mit ihren robusten Ernährungsgewohnheiten die dornigen Pionierpflanzen am Wüstenrand fressen, den dortigen Kleinbauern durch Milch und Fleisch das nötige Geld, um neben dem spärlichen Gemüseanbau für den Eigenbedarf, Getreide, Kleider und andere lebenswichtige Dinge zu kaufen, die sie selbst nicht oder nicht ausreichend produzieren können.
Vom Gras zum Lebensmittel
Beschränken wir uns auf die Rinderhaltung und die damit zusammenhängende Milch- und Fleischwirtschaft. Insbesondere hier und bei der Schweine- und Hühnerzucht werden zu Recht Massentierhaltung, quälerische Mastbetriebe und Verschmutzung von Luft durch Treibhausgase und der Böden und Gewässer durch Überdüngung kritisiert. Ebenfalls empörend ist die Tatsache, dass dem Futter für Kühe und anderen Wiederkäuern grosse Mengen Getreide und zum Beispiel Soja beigemischt werden, die wertvolle Lebensmittel für Menschen sein könnten, um (weltweit) die absurde industrielle Überproduktion von Fleisch und Milch zu ermöglichen.
Der Sinn an der Rinderhaltung und Milchwirtschaft ist eigentlich der, dass Wiederkäuer, wie eben Kühe, sich von für uns nicht verwertbaren Gras und Heu ernähren. Mittels der Mikroben ihrer drei Vormägen (Pansen, Netz- und Blättermagen) wird das Gras zu verdaulicher Nahrung zerlegt, die im vierten, dem Labmagen, dann verwertet wird. Durch ihre topografischen Besonderheiten hat die Milch- und Fleischproduktion hierzulande einen traditionell hohen Stellenwert. Auf einem Drittel der landwirtschaftlichen Fläche – zum Beispiel im höheren Jurabogen, den Voralpen und Alpen – wächst ausschliesslich Gras. Für die menschliche Ernährung können wir dieses Land nur über die Haltung von Raufutter fressenden Wiederkäuern, wie eben Kühen, nutzen. Die Kühe fressen das für uns nicht nutzbare Gras. Wir gewinnen Milch und konsumieren sie direkt oder veredeln sie zu Käse, wodurch die Milch zugleich, je nach Käse, für sehr lange Zeit haltbar gemacht wird. Das ist der eigentliche Kernsatz der Weide- und Alpenbewirtschaftung. Da die Weiden Dauergrünland sind, ist der Boden vor Erosion geschützt und hat einen hohen Humusgehalt, was einen guten Wasserspeicher, positive Klimaeffekte und Biodiversität begünstigt. Kommt hinzu, dass die Kuhfladen nicht nur den Boden düngen, sondern die Biodiversität der Insekten massiv begünstigen. Jeder Fladen bietet Lebensraum für eine grosse Zahl von Insektenlarven und Nahrung für zahlreiche Käfer.
Im vernünftigen Mass ist die Gülle ein ausgezeichneter Dünger und kann zudem mit Biogasanlagen in Strom verwandelt werden. Erfahrungen aus Modellversuchen unter anderem im Allgäu zeigen, dass Milchbetriebe mit Biogas, Solarstrom und Windrädern mehr als den Eigenbedarf an Strom produzieren können.
Schluss mit der Massenproduktion
Bedingung für eine nachhaltige Milchwirtschaft ist allerdings der Verzicht auf Preisdrückerei durch Massenproduktion und der Verzicht auf hochgezüchtete Leistungsrassen. Noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts galt ein Ertrag von 15 Litern Milch am Tag ausserordentlich gut. Heutige Hochleistungskühe produzieren das doppelte. Das ist aber eben nur durch massive Zufütterung von Getreide, Mais und Soja möglich. Dabei würde in einer vernünftigen Milchwirtschaft eiweissreiches Ackerfutter wie Lupinen, Kleegras etc. das im ökologischen Landbau willkommen ist, um die Fruchtfolge aufzulockern und den Boden mit Stickstoff zu versorgen, ausreichen.Wenn wir den Grundsatz, Milch und Fleisch nur aus sogenanntem Grundfutter (Wiese, Weide, Ackerfutter) zu erzeugen, beherzigen und auf Hochleistungsrassen verzichten, gäbe es auch keine Überschüsse an Milch, weil dadurch sich die Milchproduktion pro Jahr fast halbieren würde. Dafür wären die Kühe durch die gesündere Haltung robuster und würden länger leben. Die geringere Milchleistung würde durch die längere Lebenserwartung ausgeglichen.
Weidehaltung: Vorteil für Mensch und Kuh
Auf das ganze Milchsystem gerechnet hat das nur Vorteile, kann sich schon jetzt sogar für Einzelbetriebe rechnen, wenn die Höfe gerechte Preise für ihre Milch bekommen. Weder verseuchen importierte Nährstoffe über ein Übermass an Mist und Gülle Böden und Grundwasser, noch werden die Milchpreise durch die Überproduktion ins Bodenlose gedrückt. Und zu guter Letzt profitieren auch die Kühe. Insbesondere bei Mutter- oder Ammenkuhhaltung, wo Kälber und Kühe gemeinsam leben. Normalerweise werden die Kälber bei der Geburt von den Kühen getrennt und mit Milchpulver statt Muttermilch aufgezogen. Bei der kuhgebundenen Kälberaufzucht können die Kühe trotzdem gemolken werden, die Kälber sind robuster, gesünder und fangen früher an zu grasen, weil sie die Mütter nachahmen. So bleiben während der Säugephase etwa vier Liter weniger für den Milchbetrieb. Aber die üblichen Kälberkrankheiten wie Durchfall und Atemwegserkrankungen bleiben weitgehend aus, was die Tierarztkosten senkt. Nur Weidekühe haben ein einigermassen glückliches und auch längeres Leben. Sie sind gesünder, brauchen weniger Medikamente und Milch und Käse sind durch die ungesäuerten Fettsäuren, welche die Kühe über das natürliche Futter aufnehmen, schmackhafter und gesünder. Folgen wir dieser Argumentation ist Weidehaltung die einzig sinnvolle Milchwirtschaft für ALLE.
Höhere Qualität zu bezahlbaren Preisen
Kommt hinzu, dass der Nährwert der Milch weniger Bearbeitungsschritte durchläuft und die Lagerzeit verkürzt wird. Am besten wäre, die Milch am selben Tag auf dem Hof zu kaufen, an dem sie von Bauer oder Bäuerin gemolken und pasteurisiert wurde. So könnten die Höfe die Milch auch zu einem für die Konsumentinnen und Konsumenten attraktiven Preis anbieten, weil diese die etlichen Bearbeitungsschritte und die überhöhten Einzelhandelsmargen nicht bezahlen müssten. Natürlich kann die grösstenteils städtische Bevölkerung ihren Milchbedarf schwerlich auf dem Bauernhof eindecken. Aber auch dieses Problem könnte man mit der (Wieder-)Einführung flächendeckender Milchlieferdienste und Milchautomaten mit ökologischen Mehrwegglasflaschen mit durchaus leistbarem Aufwand lösen.
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