Werner Lampert, Die Kuh- Eine Hommage

Buchbesprechung von Rhea Schneeberger
Das Buch ist ein richtiger Wälzer. Es hat den Namen insofern verdient, da ich den Bildband zwar unter den sogenannten «Coffeetable Books» in der Buchhandlung entdeckt habe. In Ermangelung eines «Coffeetables» zu Hause habe ich das Buch mit seinen 480 grossformatigen Seiten grösstenteils bäuchlings auf der warmen Ofenbank gelesen, da es mir schlichtweg zu schwer wurde um es ständig zu halten. Ich ertappte mich häufiger dabei, wie ich neugierig immer wieder vorblätterte, in den prächtigen Bildern versank und Mühe hatte mich auch auf die Textpassagen zu konzentrieren.
«Das Buch ist nicht nur eine Hommage an die Kuh, sondern auch eine Hommage an die Vielfalt»
Schon das Titelbild fesselte mich. Obwohl es mit der kräftigen Evolèner-Kuh auf einer Bergweide im Zentrum und im Hintergrund das verschneite Matterhorn, dass sich in die Morgensonne streckt, das Potenzial für einen sehr viel kitschigeren Band haben könnte, wäre da nicht die geschickt eingesetzte Filtertechnik der Fotografin und das matte Licht, die dem Bild eine Würde und Schlichtheit verleihen und dabei in den Fokus rücken, worum es in dem Buch auch gehen soll: Die Kuh in ihrer Gesamtheit.
Der Bildband ist eine Sammlung von rund hundert Porträts ursprünglicher Rinderrassen auf der ganzen Welt. Jedes Porträt ist thematisch eingebettet in eines der 16 Kapitel, die sich wiederum entweder einem geografischen, historischen oder kulturellen Hintergrund widmen. Dabei ist jede Rasse fotografisch in ihrer ursprünglichen Umgebung in Szene gesetzt. Zusätzlich erhalten wir Informationen zu physiologischen Merkmalen, Verbreitung, Abstammung und Wesen der jeweiligen Rasse.
In den einzelnen Kapiteln zeichnet Lampert die Geschichte und die Verbreitung der Rassen anhand der frühen Menschheitsgeschichte nach. Er geht zurück zum Ursprung der heutigen Züchtungen und untersucht die Entwicklung von Bison, Ur, Yak und Wisent bis hin zu den heutigen Rassen. Wie dies auch in den verschiedenen Weltregionen hätte passieren können, unter dem Einfluss der jeweiligen topografischen Gegebenheiten. Es kommt stark zum Ausdruck, wie sich – historisch gesehen – der Mensch, das Rind und die Umwelt in gegenseitiger Wechselwirkung beeinflusst haben.
«Wann immer es um Rinder geht, treffen die wildesten Theorien auf die romantischsten Gefühle.»
Dabei ist er sich sehr bewusst, das vieles in der Geschichte der Domestizierung des Rindes nicht gänzlich geklärt ist und lässt dies auch zu indem er den Leserinnen eine Auswahl von Theorien zur Verfügung stellt, wie die Geschichte von statten hätte gehen können. Ganz nach dem Motto: « Wann immer es um Rinder geht, treffen die wildesten Theorien auf die romantischsten Gefühle.», wie er selber schreibt.
Er zeigt die Bedeutung des Rindes aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Aus der für uns heute eindeutigsten landwirtschaftlichen Perspektive, als Nutztier, aber auch seine Bedeutung als sakrales Tier und die entsprechende kulturelle Verankerung, die es in den unterschiedlichen Weltregionen und Kulturkreisen erhalten hat, ebenso wie seinen Wert als Teil eines biologischen Kreislaufs.
Beim Schreiben offenbart der Autor vieles von sich selbst und ich spüre seine enorme Leidenschaft für dieses Projekt. Es ist auch eine Sammlung von Erinnerungen und persönlichen Faszinationen.
Bei so viel Leidenschaft verzeiht man dem Schreibenden auch, dass er teils die Neigung hat das Verhältnis von Mensch und Kuh etwas romantisierend darzustellen und gelegentlich aussen vor lässt, dass es sich – auch wenn ursprünglich – immer noch um eine Nutztierhaltung und somit um eine Beziehung handelt, in der der Mensch das Rind eindeutig dominiert.
Wieviel Herzblut in diesem Werk steckt, zeigt sich auch anhand der beeindruckend vielfältigen Literaturliste.
Zum Autor:
Werner Lampert wurde 1946 in Voralberg geboren.Seine Leidenschaft für die Landwirtschaft entdeckte er im Gemüsegarten seiner Grossmutter. Später kamen die Faszination und die Liebe zu den Tieren der alpinen Bergwelt dazu. Darüber schreibt er im Vorwort seines Buches: « Den Kühen, die ich hütete, erzählte ich mein Leid und meine Sorgen. Ich rieb meinen Kopf an ihrem Leib und suchte ihre Zartheit, ihre Wärme, ihre Zuneigung. […] War ich bei den Kühen, fühlt ich mich stark und behütet.»
Schon früh beschäftigte er sich mit den Bio-Pionieren, so auch Rudolf Steiner. In den frühen 80er- Jahren eröffnete er einen Grosshandel für Bio-Lebensmittel in Wien.
Später entwickelte er verschiedene Biomarken, die in Österreich, Deutschland und der Schweiz vertrieben werden.
Er ist Autor der weiteren Bücher «Schmeckts noch? Was wir wirklich essen», «100 Lebensmittel die sie glücklich machen» und «Unberührte Schönheit- Reise zu den ursprünglichen Kühen der Welt».
Mit Ausnahme der Bilder in Westafrika wurden die Fotografien im Buch von Ramona Waldner und Judith Benedikt geschossen. Ihnen ist es gelungen die Kuh in ihrer Gesamtheit einzufangen. Beim Betrachten der Bilder fallen mir viele Adjektive ein: erhaben, zärtlich, verspielt, neugierig, freundlich, kampfeslustig, sportlich, faul, verschmust, wild, stur, genügsam, schüchtern, robust, skeptisch, gutmütig. Alle könnte ich sie der Persönlichkeit Kuh zuschreiben.
Einmal betrachte ich das doppelseitige Landschaftsbild mit dem Alpenzug im Hintergrund und der kräftigen Tiroler Grauviehherde im Vordergrund, die sich aber nicht aufdrängt und heraussticht, sondern eine Einheit mit der gesamten Landschaft bildet und deren Schönheit auch von der Umgebung mitgeprägt ist. Auf einer anderen Seite schaut mich zwischen Büschen und Sträuchern ein gedrungenes Kuchinoshima-Rind von der gleichnamigen japanischen Insel scheu aber neugierig zugleich an.
Die Bilder und Landschaften sind so vielfältig wie die Rassen selbst. Das Buch ist insofern nicht nur eine Hommage an die Kuh, sondern auch eine Hommage an die Vielfalt.
«Es gibt im Buch keine Porträts über Red Holstein, oder weissblaue Belgier. Es geht um standortangepasste Kühe in ihrer charakteristischen Umgebung. »
Und immer wieder bleiben meine Blicke an den Hörnern der Tiere aller Welt hängen. Hörner die teils imposant dick und lang, teils kurz, kräftig und geschwungen, oder auch mal gezwirbelt in verschiedenen Ausrichtungen gewachsen sind. Besonders gefesselt haben mich die Ankole Rinder aus Uganda, deren Hörner den Grossteil ihrer Schädeldecke einnehmen. Schwer vorstellbar, das diese Rinder uns mit der selben Imposanz und Erhabenheit begegnen könnten, hätten sie ihre Hörner nicht. Ohne Hörner würden uns wohl gebrochene Tiere vom Bild her anschauen.
Tatsächlich hat Lampert bewusst nur ganz wenige genetisch hornlose Rassen porträtiert und dem Thema auch eigens ein Kapitel gewidmet.
Es gibt im Buch keine Porträts über Red Holstein, oder weissblaue Belgier. Es geht dem Autor wirklich um das Ursprüngliche und um standortangepasste Kühe in ihrer charakteristischen Umgebung. Deshalb finden wir keine Ställe oder Zäune in den Bildern und kaum Menschen. Aber wir sehen sehr viele Weiten in ganz unterschiedlichen Landschaften und Herden, die herumziehen und sich in diese Weiten einfügen. Das betont auch ein eigentlich nomadisches Wesen. Die Rassen haben sich auf ihre Umgebung, die spezifischen topografischen Merkmale und das Futterangebot spezialisiert. Dies wurde deutlich in den Bildern herausgearbeitet und betont Lamperts Ansicht, das standortangepasste Tiere eben wichtig sind für eine nachhaltige Produktion. Diese Porträts stehen im krassen Gegensatz zum Nutztier Kuh, wie es in der industriellen Landwirtschaft gehalten wird.
Diese Hommage über die Kuh ist ein Buch für alle Menschen, die Lamperts Faszination für Rinder teilen und sich dem tiefen, vielfältigen Wesen dieser Tiere verbunden fühlen. Es ist genau das richtige Buch für eine warme Ofenbank und ein paar ruhige Minuten, um es immer wieder hervorzuholen, ein paar Abschnitte zu lesen und für kurze Zeit in den Bildern zu versinken.
Das Buch macht aber auch Lust zu reisen und die Welt mal aus der Perspektive Kuh zu betrachten.
Die Kuh – eine Hommage ist 2019 bereits im teNeues Verlag erschienen. 2022 hat der Verlag Berg & Feierabend den Titel in einer überarbeiteten Neusausgabe wieder aufgelegt.
Werner Lampert
«Die Kuh – Eine Hommage»
ISBN 978-3-948272-24-1
Berg & Feierabend, November 2022