Einen Augenblick staunen
Einen Augenblick staunen – Variationen über Sterben, Nachhaltigkeit und friedfertiges Leben
von Thomas Gröbly
Buchbesprechung von Rhea Schneeberger
Das dritte Buch von Thomas Gröbly ist eine Sammlung von Essays über das Leben und den Tod. Seit kurzem stolzer Grossvater ist der Autor unheilbar erkrankt an einer Nervenkrankheit, an der er voraussichtlich sterben wird. Er beschreibt den Verlauf seiner Krankheit, wie immer mehr Selbstverständlichkeiten im Alltag zu Herausforderungen werden, wie es sich anfühlt auf mehr, als nur emotionale Unterstützung von seinem Umfeld angewiesen zu sein. Wie ihm all das aber auch neue Betrachtungsweisen eröffnet- wenn die Welt um ihn herum etwas kleiner wird, bekommt er eben die Chance sie etwas genauer zu betrachten. Sein Enkel Norin scheint darin eine wichtige Rolle zu spielen. Durch Norin, der in seiner kleinen Welt, in der er ebenfalls voll abhängig von seinem direkten Umfeld ist, jeden Tag etwas neues lernen, entdecken und sich damit jeden Tag ein neues Stück Leben dazugewinnen kann, durchleuchtet er die Gegensätze der beiden Lebenssituationen. Aber er findet auch Gemeinsamkeiten, gerade im Entdeckergeist der beiden. Der Enkel der sein bevorstehendes Leben langsam entdeckt und der Grossvater, der nicht weniger neugierig die Auswirkungen seiner Krankheit und das bevorstehende Lebensende ergründet. Zudem scheint sich durch Norin auch ein Kreislauf für Thomas Gröbly zu schliessen. Ein Kreislauf, der als Analogie zur Nachhaltigkeit dient. Wie es im Untertitel bereits angedeutet ist, sind Thomas Gröbly,als gelernter Bauer und Ethiker, nachhaltige Konzepte ein grosses Anliegen und deren Umsetzung und Verbreitung ein währendes Agitationsfeld, sei es im Bezug auf die Landwirtschaft, die globalen sozialen Verhältnisse oder das sich verändernde Klima. Man merkt Thomas Gröbly ist ein aktiver Mensch, der hinschaut, aber ohne sich in der Misere zu verlieren, sondern immer wieder neue Wege sucht um «etwas» zum Positiven zu verändern. Dies tut er im ständigen Austausch mit Mitstreiterinnen. Er schätzt das Glück seiner Familie, im Wissen darum, das andere mehr zu kämpfen haben im Leben. Er ist sich bewusst, dass sein Enkel in einer ganz anderen Welt aufwachsen wird, als er selbst sie erlebt hat und dass Norin einer Generation angehört, die dass volle Ausmass der Klimakatastrophe abbekommen wird. Das beängstigt.
In der Hoffnung auf Veränderung setzt er bewusst trotzdem auf den langsamen, achtsamen, pazifistischen und vernünftigen Weg. Er setzt auf die Friedfertigkeit. Der Begriff ist sehr bewusst gewählt. Friedfertigkeit sei positiver als Gewaltlosigkeit, impliziere eine erlernbare Fähigkeit und ein Konzept das nicht nur unter Menschen sondern gegenüber der gesamten Umwelt angewandt werden kann.
Als reformierter Theologe hat sich Gröbly offensichtlich schon oft vertieft mit dem Sterben, dem Tod und seinen Folgen auseinandergesetzt. Nun nimmt er eine neue Perspektive darin ein. Mich beeindruckt die Neugier, mit der er diesem Lebensabschnitt begegnet, wie er den Tod als Teil eines natürlichen Kreislaufs wahrnimmt und der eigenen Endlichkeit etwas Positives abgewinnt, wie er selbst auch schreibt: «Mit gefällt die Idee den Tod als ein grosses Ja zum Leben zu deuten. Fühle ich mich in das riesige Lebensnetz eingebunden, dann ist mein Leben sinnvoll. Denn ohne Gleichgewicht zwischen Werden und Vergehen gibt es keine gesunde Gemeinschaft. Die Idee eines ewigen Lebens ist eine schwere Störung.»
Alles in allem habe ich den Eindruck, dass er seine Situation im Schreiben mit einer gewissen Nüchternheit betrachten kann. Gröbly gibt in seinem Buch dem Sterben und dem Tod den notwendigen Raum, den es braucht, ohne sich aus einem Zusammenhang zu lösen und sich ständig im Verhältnis und Austausch mit seinem Umfeld zu betrachten. Ich spüre zwischendurch etwas Wehmut über alles was nicht mehr geht, aber nie grosse Wut oder starke Niedergeschlagenheit. Mindestens so grosse Trauer seinerseits empfinde ich beim Lesen tatsächlich, wenn er über die kranke Erde schreibt, über die Degradierung von Lebewesen zu Waren und über das zerstörerische Missverhältnis zwischen den modernen Menschen, der Wirtschaft und dem technologischen Fortschritt zur Natur. In dem Wissen darum, in welchen Zustand die Welt für kommende Generation hinterlassen wird, wird Gröbly nicht müde Ursachen zu benennen, fragwürdige Entwicklungen anzuzweifeln und über Lösungsansätze zu philosophieren auf geistig spiritueller Ebene, aber auch ganz praktisch, anhand konkreter Initiativen. Darin offenbart sich ein kämpferischer Geist.
So beeindruckend ich Thomas Gröblys Umgang mit seinem bevorstehenden Tod finde, so missmutig hat mich tatsächlich das Ende des Buches gemacht. Ganz zum Schluss hat der Autor einen Text mit dem Titel « «Ich will bei meinem eigenen Sterben dabei sein»- Gedanken zu meinem Sterben» angehängt. Darin macht er sich Gedanken über sein eigentliches Sterben, wie es sein wird immer unselbständiger zu werden, zunehmend die Kontrolle über die eigenen Körperfunktionen zu verlieren und mit Leid und Schmerz konfrontiert zu sein. Aber auch darin sieht er die Möglichkeit neue Erfahrungen zu machen, die eben auch zum Leben gehören. Er macht sich in diesem Zug Gedanken über Sterbehilfe und vergleicht den assistierten Suizid mit dem «natürlichen» Sterben. Obwohl er betont, dass er niemanden verurteilt, der diesen Weg des Sterbens wählt und obwohl er sich auch nicht selber sicher sein kann, dass er letztendlich nicht auch diesen Weg wählen wird, übt er doch eher verurteilende Kritik am assistierten Suizid. Er betrachtet ihn als « …letzten Akt der Todesverdrängung und Selbstoptimierung..» und « …auf einen technokratischen Prozess reduziert und gewalttätig.»
In diesem Kapitel wird deutlich, wie er auch früher im Buch schon selbst festgestellt hat, dass der Autor aus einer sehr privilegierten Situation schreibt. Finanziell gut abgesichert, eingebettet in ein stabiles familiäres Verhältnis, mental zwar enorm herausgefordert aber gesund darf er sich in den Entscheidungen zu seinem Sterben stets unterstützt und begleitet fühlen. Dem Entscheid sein eigenes Leben durch assistierten Suizid zu beenden muss ebenfalls eine enorme Auseinandersetzung mit sich selber vorausgehen und ist wohl wirklich nur von Betroffenen nachvollziehbar. Es mag weniger spirituell wirken, als jede einzelne Phase des Sterbens bewusst mitzuerleben, aber es ist eine starke selbstbestimmte Entscheidung, deren Umsetzung ebenfalls enorme Willenskraft und entsprechend auch Lebensenergie erfordert.
Gröblys Texte werden jeweils mit einem eigenen Gedicht eingeleitet. Wie auch in seiner Prosa bedient sich Gröbly auch in seinen Gedichten an starken Naturbezügen. Seiner Liebe zur Lyrik hat er eigens ein Kapitel gewidmet, in dem die Lyrik für mich etwas entstaubt und ihr als Ausdrucksform einen grossen Wert beigemessen wird. In seinen Texten zitiert Gröbly aus vielfältigen Werken von Khalil Gibran über Vandana Shiva bis hin zu Charly Brown und gibt ganz nebenbei viele wertvolle Literaturtipps weiter.
In Form dieses Buches gibt er seinem Enkel Norin ein wunderschönes Erbe weiter. Jedes einzelne Kapitel regt zu eigenen Gedankenspielen an und verleitet dazu auch selbst mal wieder zu entschleunigen, inne zu halten und somit eigene Augenblicke des Staunens auch wieder zuzulassen.
«Einen Augenblick staunen» von Thomas Gröbly
ISBN 928-3-03881-009-4
Edition Verlag Volles Haus, August 2022
www.volleshaus.ch