Quasselpflanzen
Die grüne Intelligenz
Die neuere Forschung fördert verblüffendes über das Leben der Pflanzen zun Tage. Vielleicht schon bald auch zum Nutzen der Landwirtschaft.
Einleitung
Die verbreitete Überzeugung, Bewusstsein sei ein menschliches Alleinstellungsmerkmal geriet in den letzten Jahrzehnten arg ins Wanken. Verhaltensforscher entdeckten deutliche Belege für (selbst) Bewusstsein und sogar Ansätze von Kultur bei Walen und Primaten. Man schrieb die vergleichsweise hohe Intelligenz ihren grossen, komplexen Gehirnen zu. Bis man entdeckte, dass Graupapageien und Rabenvögel, trotz vergleichsweise winziger Hirne, über die kognitiven Fähigkeiten von schulpflichtigen Kindern verfügen, in der Lage sind, Werkzeuge herzustellen, zu benutzen und Probleme mit ihrer Vorstellungskraft zu lösen. Kurz: Die Vögel haben sich Gedanken gemacht.
Die prominente Basler Polit- und Umweltaktivistin, Biologin, Chemikerin und Autorin Florianne Koechlin geht in ihrer Arbeit noch weiter. Als Geschäftsführerin des «Blauen Instituts» und Autorin verschiedener Bücher zum Thema (siehe Kasten) sammelt und publiziert sie für Laien verständliche wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich der Pflanzenkommunikation und Interaktion untereinander und mit anderen Lebewesen. Dabei beweisen die Gewächse erstaunlich viel von dem, was wir allgemein gesunden Menschenverstand nennen.
Pflanzen sind keine Automaten
«Bisher» so Koechlin, «dachte man, Pflanzen reagieren wie lebende Automaten, denen alles vorgegeben ist.» Von wegen. «Pflanzen nehmen Umweltsignale wahr, die Menschen nicht zugänglich sind.» Sie registrieren optische, akustische, taktile und olfaktorische Signale aus ihrer Umgebung, ziehen Schlüsse daraus und passen ihr Verhalten den Schlussfolgerungen an – wie wir letzlich auch.
Freilich ist ihre Wahrnehmung gegenüber der unseren grundverschieden. Statt Augen haben Pflanzen über den ganzen Körper verteilte Fotorezeptoren. Je nach Lichtqualität und Lichtstärke passen sie ihr Wachstum an. Bisher nur vermutet aber sehr wahrscheinlich ist die Möglichkeit der Pflanzen, Geräusche zu registrieren und zu interpretieren. Eine Forscherin an der Universität Missouri spielte Tomatenpflanzen das Geräusch kauender Raupen vor, worauf die Pflanzen Abwehrstoffe produzieren.
Im übrigen sind Pflanzen augenscheinlich lernfähig, wie eine australische Forscherin anhand der Mimose belegt hat: Das typische Zusammenfalten bei Berührung lässt nach oder bleibt mit der Zeit sogar ganz aus, wenn die Mimose merkt, dass von der entsprechenden Berührung keine ernste Gefahr ausgeht. Und das auch, wenn zwischen den Berührungen mehrere Tage liegen.
Sehen, Hören, Fühlen – und Handeln
Zwischenpflanzliche Kommunikation über grössere Strecken erfolgt über Pheronome, was nahelegt, dass sie Sensoren für Duftstoffe haben. Wenn Raupen eine Tomatenpflanze tatsächlich befallen, verteidigt sich die Pflanze nicht nur mit einem selbstproduzierten Pestizid. Sie warnt auch ihre Artgenossen mit dem Ausstoss des Duftstoffs Methyljasmonat. So können die Pflanzen den Abwehrstoff schon produzieren, bevor der Schädling sie erreicht. Sogar um Hilfe ruft die Tomate. Wenn sie von Spinnmilben attakiert wird, lockt sie mit Duftstoffen Raubmilben an, die mit der Spinnmilbenpopulation kurzen Prozess machen. Bei Raupenbefall lockt sie Schlupfwespen an. Die Pflanze kann am «Geschmack» vom Speichel von Schädlingen erkennen welches Insekt sie gerade befällt und aus einem Sortiment von verschiedenen Duftstoffen das passende wählen, um die richtige Hilfe herbeizulocken.
« Von der Limabohne kennt man inzwischen mehr als hundert Duftstoffvokabeln »
Zusammenarbeit zwischen Pflanzen und Pilzen
Solche Verhaltensweisen kennt man nicht nur von Tomaten, sondern von zahlreichen Bäumen und Büschen wo sich ganze Wälder unter die Äste zu greifen scheinen. «An der Universität Jena hat ein Team ‹Sprachkenntnisse› der Limabohne untersucht. Von dieser Pflanze kennt man inzwischen mehr als hundert Duftstoffvokabeln.» Dabei könne die Limabohne nicht nur mitteilen, dass sie verletzt ist, sondern auch wer sie verletzt hat. Kornblumen widerum locken in einem Kohlfeld mit ihren Duftstoffen Nützlinge an, die sich vom Nektar der Kornblume ernähren und deren Larven der Kohleule bekämpfen.
Wood Wide Web
«Auch unterirdisch kommunizieren Pflanzen miteinander, ja führen ein regelrechtes Sozialleben» erklärt Florianne Koechlin, der die Begeisterung für das Thema aus jeder Faser strahlt. Dazu benutzen sie ein kompliziertes Netzwerk, das in der Wissenschaft mittlerweile analog zum Internet Wood Wide Web genannt wird.
Bei der unterirdischen Kommunikation bauen Pflanzen ein Netzwerk aus Wurzeln und Pilzfäden. Das sogenannte sogenannte «Mykorrhizanetz». Darüber tauschen sie wohl auch Informationen und Nährstoffe aus. Auch die verschiedenen Arten und Spezies kooperieren. Die Bäume geben den Pilzen etwa ein Drittel ihrer durch Photosynthese hergestellten Kohlenhydrate ab. Dafür profitieren die Bäume von den Nährstoffen, die die feinen Pilzhyphen aus dem Boden lösen können. Wären Buchen nicht ans Netz angeschlossen, würden die imposanten Bäume nicht grösser, als eine mickrige Topfpflanze.
«Wir haben die Pflanzen unterschätzt»
Dies alles sind nur einige Beispiele. Angesichts der Tatsache, dass die Forschung über das geheime Leben der Pflanzen noch relativ jung ist und auf wenig faktenbasiertes Material zurückgreifen kann, ist es nur plausibel anzunehmen, dass wir erst die auffälligsten Spuren pflanzlicher Intelligenz entdeckt haben. «Wir haben die Pflanzen bis jetzt unterschätzt», fasst Koechlin die stets neuen Forschungsergebnisse zusammen.
«Vieles, was die Wissenschaft bisher als esoterisch oder emotional abgetan hat», so Koechlin, «werde heute bei den Pflanzen nachgewiesen.» Aber verfügen Pflanzen wirklich über ein Bewusstsein oder Empfindungen? Hier lässt sich die Wissenschaftlerin bei aller Offenheit und Begeisterung nicht auf dünne Äste hinaus. «Wir wissen es nicht». Es gäbe zwar einige Indizien, aber keine belastbaren Beweise.
Dennoch: «Vieles, was die Forscher am Verhalten der Pflanzen in den letzten Jahren entdeckt haben haben, lässt sich
auch in einer ökologischen Landwirtschaft nutzen.» Misch-
kulturen erlauben den Pflanzen, Synergien zu nutzen. In Zentral und Südamerika – um widerum nur ein Beispiel zu nennen – hat die sogenannte «3-Schwestern-Landwirtschaft» aus Mais, Bohne und Kürbis eine lange und ausserordentlich erfolgreiche Tradition. «Mais liefert Stärke und dient der eiweissreichen Bohne als Bohnenstange. Kürbis bedeckt denBoden und schützt ihn vor Austrocknung. Der Ertrag der Pflanzen in dieser Mischkultur war im Versuch fast doppelt so gross wie wenn die Pflanzen in Monokultur angebaut werden.
So oder so tun wir also gut daran, Pflanzen nicht einfach als isoliertes vor sich hinwachsendes Grünzeug zu begreifen, sondern als Teil eines globalen Netzwerkes, an dem auch unsere Zukunft mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Gedeih und Verderb verbunden ist.
Florianne Koechlin
Florianne Koechlin ist Biologin und Geschäftsführerin des «Blauen Instituts» in Münchenstein BL. Dieses befasst sich mit neuen Erkenntnissen zu Pflanzen und anderen Lebewesen, insbesondere auf dem Gebiet der Pflanzenkommunikation. Es fördert deren Umsetzung in die Praxis, indem es das Expertenwissen allgemein verständlich erklärt. Koechlin ist Autorin verschiedener Fachbücher.
Link: www.blauen-institut.ch
Bücher zum Thema von Florianne Koechlin (alle im Lenos Verlag):
- Jenseits der Blattränder, Eine Annäherung an Pflanzen, ISBN 978-3-85787-835-0
- Mozart und die List der Hirse (mit Denise Battaglia), ISBN 978-3-85787-460-4,
- Pflanzen-Palaver – Belauschte Geheimnisse der botanischen Welt, ISBN ISBN 978-3-85787-785-8
- Von Böden die klingen und Pflanzen die tanzen, ISBN 978-3-85787-829-9
- Was Erbsen hören und wofür Kühe um die Wette laufen.(mit Denise Battaglia), ISBN 978-3-85787-817-6
- Schwatzhafte Tomate, wehrhafter Tabak, ISBN 978-3-85787-803-9