Bäuerinnen und Bauern konfrontiert mit dem Markt
INHALTSVERZEICHNIS
Zusammenfassung eines Interviews mit Pierre-André Tombez (pensionierter Bauer, ehemaliger Präsident von Uniterre und der Allianz für Ernährungssouveränität) über seine Erfahrungen als Saatgutproduzent und Betreiber einer Sammelstelle in Salavaux sowie über den Handlungsspielraum der Bauern und Bäuerinnen im aktuellen Kontext.
Die Sammelstelle
„Mein Vater hatte einen Mähdrescher und auch eine Trocknungsanlage. Er bot den Bauern aus der Umgebung an, ihre Ernte zu trocknen, wenn dies nötig war. Er stellte auch Saatgut in Lohnarbeit her (Weizen). Durch diese Tätigkeit nahm die Sammelstelle Gestalt an und wir haben die Ernten der Bauern und Bäuerinnen aus der Umgebung übernommen.“
Als PA Tombez den Hof übernommen hat, war der Kanton Waadt der Kanton mit der grössten Getreidelagerung auf den Bauernhöfen und es war die Eidgenössische Weizenverwaltung (ESTV), die die Preise festlegte, die Ernten aufkaufte und die Getreideproduktion übernahm. Der Bund beschloss jedoch, die Lagerung bei den Bauern zu verbieten und direkt mit den Sammelstellen zu verhandeln. Dann wurde am 30. Juni 2001 die Eidgenössische Weizenverwaltung aufgelöst. Für die Produzenten und Produzentinnen bedeutete dies einen Eintritt in den “freien” Markt ohne jegliche Absicherung!
Ab dann, wandelte er zusammen mit seiner Frau Heidi die Sammelstelle in eine AG (HEP AG) um, baute die Infrastruktur und das Managementsystem der Sammelstelle aus, so dass sie die ISO 9001-Zertifizierung erhielt und als B-Sammelstelle anerkannt wurde.
Die HEP AG erhielt vom BLW auch die Zertifizierung als Saatgutproduzent und schloss sich der Société coopérative des sélectionneurs (ssA) an.
Durch ihre Beziehungen zu Behörden, Abnehmern und Saatgutproduzenten hatte die HEP AG Zugang zu Informationen, die es ihr ermöglichten, den Bauern und Bäuerinnen die zu produzierenden Sorten vorzuschlagen und ihre Produktion bestmöglich zu vermarkten.
Die Zusammenarbeit
„Dieses Zentrum war ein privates, aber partizipatives Unternehmen. Alles wurde auf den Tisch gelegt und mit den Bauern und Bäuerinnen besprochen: die zu produzierende Sorten und Mengen, in Zusammenarbeit mit dem Chefmüller von Grange-Marnand“ . Es gab ein grosses Vertrauen und echte Solidarität unter den Mitgliedern.
IP-Suisse wurde 1989 gegründet und einige Jahre später waren die Bauer*innen, die an Salavaux lieferten, alle damit einverstanden, in integrierter Produktion (IP-Qualitätslabel) zu produzieren. Zunächst gab IP-Suisse nur vier von ihnen eine Produktionsquote. Diese lehnten das Angebot ab und verlangten, dass die Quote auf alle Mitglieder aufgeteilt werden sollte! „Sie waren also bereit, zu produzieren, ohne den Markt zu haben!“. Alle, die an die HEP AG lieferten, stellten auf IP-Suisse-Produktion um und die Produktion konnte trotz der Unsicherheiten abgesetzt werden.
Das Networking
Alles scheint in dieser Erzählung einfach zu sein, dennoch fehlte es nicht an Schwierigkeiten: Verwaltung der Lieferungen und ihrer Qualität, Suche nach Käufern zum bestmöglichen Preis, neue Anforderungen und Kriterien, neue Gesetze… Ausschlaggebend waren einerseits der Arbeitsgeist und die Zusammenarbeit unter den Bauern und Bäuerinnen und vor allem die Transparenz, die die Grundlage für Vertrauen ist. Aber auch die Fähigkeit von Pierre-André Tombez, zu reagieren und Lösungen zu finden: Zwischenmenschlichkeit, Gespräche mit Personen auf allen Ebenen und Verhandlungen, die dank Heidis rigoroser Verwaltung des IT-Betriebssystems der AG mit Zahlen belegt werden konnten.
Eigentlich ist Handel eine Beziehung: Ich habe, was du brauchst ⬄ du kaufst von mir, was du brauchst. In überschaubaren Strukturen kann man eine Beziehung von Mensch zu Mensch aufbauen … Aber Strukturen ändern sich, sie werden grösser oder verschwinden, und der Kontakt zu den Verantwortlichen, die den Überblick haben, ist nicht mehr immer möglich.
(Heute gibt es die HEP AG nicht mehr: Der Sohn, der den Hof übernommen hat, hat die Kulturen auf Bio umgestellt und es gibt in der Region nicht genug Bio-Produktion, um eine Sammelstelle zu unterhalten).
Analyse
Informationen für Bauer*innen und Transparenz
„Wenn die Bauern und Bäuerinnen transparente Informationen über den Markt erhalten, spielen sie mit. „Als es die Möglichkeit gab, über IP-Suisse zu vermarkten, waren alle, die uns belieferten, damit einverstanden, in IP-Qualität zu produzieren.!“
Derzeit ist die Branche abgeschottet. Man kennt zwar den Richtpreis für den Ankauf bei den Bäuerinnen und Bauernund wir kennen den Verkaufspreis für die Verbraucher, aber dann weiss man nichts mehr über die Kosten der verschiedenen Verarbeitungsstufen.. Diese Undurchsichtigkeit hat sich durch die Übernahme der Wertschöpfungsketten durch die grossen Handelsketten (Getreide, Milch, Fleisch usw.) noch verstärkt. Die Coop-Gruppe besitzt zum Beispiel die Swissmill, die grösste Getreidemühle der Schweiz. Sie verarbeitet jedes Jahr über 200’000 t Getreide zu Brot.
„Qualität“
Man spricht von Qualität, aber eigentlich sollte man von Kriterien sprechen (Feuchtigkeitsgehalt, Proteingehalt, Sedimentationsindex, Fallzahl, Glutengehalt…), denen eine Werteskala zugewiesen wurde. Ein Weizen muss nicht unbedingt von schlechter Qualität oder gar für den menschlichen Verzehr ungeeignet sein, wenn er an der Grenze eines bestimmten Wertes liegt. Er kann ohne weiteres handwerklich verwendet werden, da diese Werte grösstenteils den Anforderungen der industriellen Verarbeitung entsprechen! Für den Bauern/die Bäuerin definieren diese Werte den Preis, der für seine/ihre Ernte gezahlt wird, und es ist unfair, wenn der Wert eines qualitativ hochwertigen Produkts aufgrund der Kriterien der Industrie gesenkt wird!
Grösse der Strukturen
In Salavaux arbeitete die HEP SA mit Bigbags (500 kg), die jeweils mit dem Namen des Erzeugers, dem Lieferdatum und den Analyseergebnissen etikettiert wurden. Diese Verwaltung in „kleinen“ Chargen ermöglichte es, die Produkte je nach Testergebnissen in der Kette zu platzieren, entweder für die Industrie oder für den Verkauf in Mehlpaketen für den Hausgebrauch. Heutzutage sind die Silos durch die Industrialisierung und Konzentration so gross, dass es keine andere Möglichkeit mehr gibt, als die Qualität zu standardisieren, da Flexibilität bei solchen Mengen nicht mehr möglich ist.
Zusammengefasst
Objektive Informationen, absolute Transparenz, mehr Mitspracherecht und Verhandlungsmacht für die Bauer und Bäuerinnen, kostendeckende Preise … Es ist noch ein weiter Weg, aber es gibt bereits einen „Fahrplan“, der sich „Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der Bauern und Bäuerinnen und anderer Personen in ländlichen Gebieten (UNDROP)“ nennt. Und es wäre auch dringend notwendig, dass eine wirksame Preisbeobachtungsstelle in der Agrar- und Ernährungswirtschaft umgesetzt wird (parlamentarische Initiative von Isabelle Pasquier-Eichenberger, die von der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats am 01.11.2023 angenommen wurde).
Links:
Enstehungsgeschichte des Labels IP-Schweiz: IP-SUIssE Dokumentarfilm – Die Entstehungsgeschichte des Labels mit dem Marienkäfer
Groupe Minoterie SA: Groupe Minoteries – Wikipedia
Kriterien Weizen
– Erntequalität von Brotweizen
– Hektolitergewicht und Qualitätsparameter beim Weizen
Und noch mehr:
Forderungen von Uniterre zum 31. Januar 2024
Für eine effiziente Preisbeobachtung in der Agrar- und Lebensmittelbranche (Parlamentarische Initiative 22.477)
Rechte von Bäuerinnen und Bäuern (UNDROP) – UNITERRE