Initiative für den Schutz von Lebensmitteln: Interview mit Luigi D’Andrea
Die Unterschriftensammlung für die Eidgenössische Volksinitiative „Für Lebensmittel ohne gentechnisch veränderte Organismen“ wurde diesen September gestartet. Warum wurde diese Initiative gestartet? Was steht auf dem Spiel?
Standpunkt von Luigi D’Andrea, Sekretär der Schweizer Allianz für eine gentechnikfreie Landwirtschaft.
Kannst du uns sagen, was die Trägerorganisationen (Schweizer Allianz für eine gentechnikfreie Landwirtschaft, l’Alliance suisse pour une Agriculture sans Génie génétique, Bio-Suisse, Gen Au Rheinau) dazu bewogen hat, die Initiative zum Schutz von Lebensmitteln zu lancieren?
Der wichtigste Faktor ist die Forderung des Parlaments nach Deregulierung der Neuen Genomischen Techniken (NGT). Denn Deregulierung bedeutet
– Keine Bewertung der Risiken für Umwelt und Gesundheit
– Keine Kennzeichnung
– Keine Rückverfolgbarkeit, also keine Transparenz
Unser Ziel ist es, die Definition eines Gentechnisch veränderte Organismus (GVO) sowie verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit Zulassungsverfahren, Kennzeichnung, Kosten für den Anbau von GVO und Patenten, die von NTG betroffen sind, in die Verfassung aufzunehmen. Darüber hinaus integrieren wir auch einen Artikel über die Notwendigkeit, eine GVO-freie Pflanzenzüchtung zu unterstützen. Wenn die NTG dereguliert würden, wäre die GVO-freie Landwirtschaft in Gefahr, ebenso wie unsere Ernährung und unsere Umwelt. Die Pflanzenzüchtung würde durch die Patente, die den multinationalen Konzernen, die sie besitzen, erteilt werden, behindert werden. Die Bio-Landwirtschaft würde wahrscheinlich verschwinden. Unsere Landwirtschaft würde noch intensiver werden, obwohl wir einen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft hin zu mehr Agrarökologie und widerstandsfähigeren landwirtschaftlichen Systemen einleiten müssen.
Welche Risiken bestehen speziell bei GVO der nächsten Generation?
Pflanzen sind sehr komplexe Organismen. Wenn man das Genom an einer Stelle verändert, wie wirkt sich das auf die anderen Funktionen der Pflanze aus? Wenn man von der Pflanze mehr verlangt, muss sie die Ressourcen finden, um dies zu tun. Wird dies auf Kosten einer anderen Funktion gehen? Oder wird sie z. B. mehr Nährstoffe aus dem Boden ziehen müssen? In diesem Fall wird sie Dünger benötigen! Viele Fragen sind offen und das sollte jeden dazu bewegen, sich für das Vorsorgeprinzip zu entscheiden. NTG sind Techniken, die ein grosses Potenzial zur Veränderung von Organismen haben. Schneller als bisher können mehrere Sequenzen auf einmal verändert werden (Multiplexing), und das auch in geschützten Bereichen des Genoms. Diese ermöglichen es gewissermassen, das zu bewahren, was sich nicht ändern darf, um die Physiologie eines Organismus zu erhalten. Tatsächlich haben sich bestimmte Teile des Genoms seit Millionen von Jahren nicht verändert und werden konserviert und geschützt.
Genome Editing mit CRISPR/Cas9 ist eine Gentechnologie, die es ermöglicht, Gene im Genom von Lebewesen gezielt zu deaktivieren, zu verändern, zu entfernen oder hinzuzufügen. Selbst mit diesen hochmodernen Techniken und Genetiker“innen, die sich als Genomchirurg*innen ausgeben, befinden wir uns derzeit noch in der Experimentierphase! Die komplexe Funktionsweise des Genoms ist noch nicht verstanden. Da das Objekt, das verändert wird (das Genom), und seine Funktionsweise noch nicht richtig verstanden sind, ist es illusorisch, von der Genauigkeit der genetischen Veränderungen zu sprechen. Wir haben es mit Techniken (NTG) zu tun, die viel mächtiger und eingreifender sind als die Gentechnik der ersten Generation und die daher weitreichende Konsequenzen und somit erhöhte Risiken haben können… und das ist genau der Bereich, den man deregulieren will! Das ist völlig paradox! Die Befürworter der NTG spielen die Risiken herunter und argumentieren, dass sich die DNA in der Natur auf natürliche Weise verändert… Die Kernspaltung gibt es auch in der Natur, aber das ist kein Grund, die Kernkraftwerke nicht zu regulieren!
Wie strukturiert sich die Macht zugunsten der neuen GVO?
Im Wesentlichen gibt es die Industrie, wissenschaftliche Netzwerke (die eine reduktionistische/utilitaristische Sicht auf das Leben haben), bäuerliche Strukturen, die nach Lösungen suchen, um z. B. den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren. Es gibt auch übergreifende Strukturen (grosse Einzelhandelsketten, Lebensmittelindustrie), die darauf angewiesen sind, immer die gleichen Sorten und Materialien zu haben, die für die industrielle Verarbeitung geeignet sind.
Macht und NTG, wer entscheidet?
Wenn man sich anschaut, was in der Schweiz und in Europa passiert, stellen wir fest, dass die Macht die Keule ist! Selbst wenn die Zivilgesellschaft, die Umweltorganisationen usw. es nicht wollen, wird es trotzdem gemacht! Du willst keine GVOs, dann serviert man dir die NTGs! Es gibt keine Risikobewertung! Die Industrie zahlt ohnehin lieber Geldstrafen, als die Risiken (für Pflanzen, Tiere, Artenvielfalt, Gesellschaft) zu erforschen. Die Agrarindustrie und Wissenschaftler“innen, Experten*innen, die an technologische Wunder glauben, drängen auf einen schnellen Durchbruch der NTG! Es steht viel auf dem Spiel und die neuen NTG-Pflanzen werden die Marktkonzentration und die industrielle Landwirtschaft weiter vorantreiben.
Die Zukunft der Landwirtschaft – mit oder ohne Natur?
Die Organisationen, Wissenschaftler und Einzelpersonen, die die Initiative unterstützen, sehen Antworten in einem Modellwechsel des Ernährungssystems, einer Landwirtschaft, die Teil der Lösungen für ökologische und soziale Herausforderungen ist, einer Landwirtschaft, die Teil der Natur ist! Auf der anderen Seite stehen Menschen, die behaupten: «Landwirtschaft ist nichts anderes als Technologieentwicklung. Landwirtschaft hat nichts mit Natur zu tun. Gottseidank, sonst könnten wir die Menschen gar nicht ernähren.» (Zitat von Urs Niggli im Artikel ‚Grüne Biotechnologie: Sicherheitsbedenken sind kein Thema mehr‘ auf Swiss-food.ch, einer von Bayer und Syngenta gesponserten Wissenschaftsplattform). Diese Behauptung stammt nicht von einem Lobbyisten der Agrarindustrie, sondern vom ehemaligen Direktor des FiBL…Das sagt viel über die Kräfte aus, die hier am Werk sind…!
Mehr zum Thema in unserem zweiten Artikel Neue Genomiktechniken, Ergänzungen der Redaktion.
Links
Eidgenössische Volksinitiative «Für gentechnikfreie Lebensmittel (Lebensmittelschutz-Initiative) »
SAG – Schweizer Alliance Gentechfrei:
Swiss-food.ch – Grüne Gentechnik: Sicherheitsbedenken ziehen nicht mehr
https://swiss-food.ch/artikel/gruene-gentechnik-sicherheitsbedenken-ziehen-nicht-mehr