GenussStädte als Sprungbrett für Ernährungsbildung
Nach 20 anderen Städten ist Freiburg im Jahr 2023 die Schweizer GenussStadt. Dies ist eine Gelegenheit für die Stadt, ihre Beziehung zur Gastronomie, Ernährung, Produktion und Bildung neu zu beleben und zu überdenken. Denn ja, GenussStadt zu werden, ist nicht nur eine populäre Veranstaltung, die als Schaufenster für die lokale Gastronomie dient, sondern auch die Aufnahme in ein Netzwerk inspirierender Schweizer Städte, von denen einige eine echte Ernährungsumstellung vollzogen oder zumindest zahlreiche dauerhafte Projekte zu den Themen Geschmackserlebnis und Ernährungserziehung ins Leben gerufen haben. Ein kurzer Überblick über die Initiativen und Perspektiven.
Öffentliche Verwaltungen, die ihre Prioritäten überdenken
Auch wenn einige Städte wie Genf ihre Ernährungsumstellung bereits weit vorangetrieben hatten und ihre Fortschritte im Jahr der GenussStadt nur bestätigten oder konsolidierten (z. B. 2021 für Genf), haben einige Verwaltungen ihr Jahr der GenussStadt eindeutig genutzt, um die Werte Nachhaltigkeit, Umwelt und Ernährungserziehung in den Mittelpunkt ihrer Prioritäten zu stellen. Dies ist der Fall in Moutier, wo die Veranstaltung 2014 einen sehr sozialen Schwerpunkt auf Ernährung und junge Menschen gelegt hat, der auch Werte wie soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung umfasst. Silvère Ackermann, Leiter des Dienstes für Jugend und Gemeinschaftsaktionen (SeJAC), freut sich heute, dass einer seiner Mitarbeiter sich beispielsweise auf den Bereich der nachhaltigen Entwicklung spezialisiert hat und, dass alle Primar- und Kindergartenklassen ein Programm zur Gesundheits- und Ernährungsprävention absolviert haben. Eine Gruppe engagierter Krankenschwestern führt die Anlässe durch, welche von der Stiftung Education 21 finanziert werden.
Nach der Auszeichnung als GenussStadt werden die Abteilungen für Gesundheit, Ernährung und nachhaltige Entwicklung der gewählten Stadt ins Rampenlicht gerückt, wobei einige von ihnen die Ernährungserziehung und eine nachhaltigere Ernährungsstrategie zu ihren Prioritäten zählen. In Onex beispielsweise, so berichtete uns René Longet, der damalige Leiter von Onex GenussStadt, ist seit 2010 ein echter Wille zu erkennen, die Bedeutung einer regional orientierten Ernährungspolitik in verschiedenen Organisationen und öffentlichen Politiken zu verankern. In Morges, der ersten GenussStadt, wurden die Verpflichtungen in Bezug auf nachhaltige Produktion und öffentliche Gesundheit eingehalten. Im Jahr 2020 verabschiedete die Gemeinde eine Charta über den Referenzrahmen für eine nachhaltige Ernährung, die jeder Anbieter einhalten muss. Genf zog im Oktober 2021 nach, als der Verwaltungsrat ein gleichwertiges Referenzdokument für nachhaltige Ernährung verabschiedete. Die Stadt schreibt dieselben Ambitionen auch in ihrer Klimastrategie fest, um der Entwicklung eines nachhaltigen Lebensmittelerzeugungssystems noch mehr Gewicht zu verleihen.
Viele Städte haben auch ihre Systeme zur Gemeinschaftsverpflegung weiterentwickelt, insbesondere in Schulen, wo es nicht ungewöhnlich ist, auf den Speiseplänen einmal in der Woche ein vegetarisches Angebot zu finden. Genf hat beispielsweise ab dem Schuljahr 2021 eine vollständige semi-vegetarische Ernährung in allen Schulen eingeführt. Lausanne verabschiedete bereits 2014 einen Plan für nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung, der auf den Kriterien Nähe, Produkte mit Gütesiegel, Ernährungsqualität gemäss der SGE (Schweizerische Gesellschaft für Ernährung) und Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung basiert. Das Label Fourchette Verte sowie das Label „Ama terra“, dessen Kriterien in Bezug auf Nachhaltigkeit, Vermeidung von Lebensmittelverschwendung und biologische Produktion noch anspruchsvoller sind, werden für viele Institutionen oft zu Referenzen und Zielen, die es zu erreichen gilt. Heute kann man mit Freude beobachten, dass die Schulkantinen in vielen GenussStädten zu grossartigen Orten der Erziehung zu gesunder und umweltfreundlicher Ernährung geworden sind.
« In einer „GenussStadt“ wird eine gebündelte Energie aktiv. Zahlreiche Akteur.innen organisieren Projekte rund um die Sensibilisierung, die Geschmackserziehung, die Ernährungserziehung und die nachhaltige Ernährung.»
Lokale Bildungsprojekte, die sich bewähren
Wenn eine Schweizer Stadt zur GenussStadt ernannt wird, wird eine gebündelte Energie aktiv. Zahlreiche Akteur.innen in der Stadtverwaltung, aber auch in der Gastronomie, in allen Schulen (von der Kinderkrippe bis zur Universität), in öffentlichen Gesundheitsorganisationen, gemeinnützigen Vereinen und vielen anderen mehr, organisieren Initiativen und Projekte rund um die Sensibilisierung, die Geschmackserziehung, die Ernährungserziehung und die nachhaltige Ernährung. Dies gilt praktisch für fast alle 21 Städte, die seit 2002 gewählt wurden. Neben der Veranstaltungswoche im September nutzen die Städte die Gelegenheit, ihre Bevölkerung auf unterschiedliche Weise zu wecken, zu informieren und aufzuklären, um so wieder eine Verbindung zwischen Verbraucher*innen und Produzent*innen, zwischen Esser*innen und den natürlich vorkommenden Lebensmitteln, herzustellen. Initiativen wie „Maire aux fourneaux“ und „Rencontres d’ici et d’ailleurs“ in Sion, „La journée de l’eau“ in vielen Städten, die zahlreichen lokalen Märkte wie Festi Terroir in Genf haben den Vorzug, dass sie diese wertvolle Verbindung zwischen Konsument*innen und Produzent*innen oder sogar politischen Vertreter*innen (wieder) aufleben lassen wollen und das „Zusammenleben“ populärer machen.
Unter den Jugendprojekten, die von der Bewegung GenussStädte in Partnerschaft mit Slow Food Schweiz initiiert wurden, ist das „Slow Mobil“, der Kindern und auch Erwachsenen die Eigenschaften gesunder und nachhaltiger Lebensmittel vermittelt, eines der Vorzeigeprojekte für den Schulunterricht. In Genf sensibilisiert und vereint die Swiss Food Academy die Bevölkerung mit Animationsworkshops für Kinder und Erwachsene. Das Label GRTA (Genève Région Terre d’Avenir) bietet zudem zahlreiche Schulungen im Bereich Landwirtschaft und Ernährung an. Im Wallis wurde die Stiftung Senso5 des Netzwerks Gesundheitsförderung Wallis ins Leben gerufen, die im Anschluss an Sion GenussStadt im Jahr 2003 ins Leben gerufen wurde und heute ein Referenzinstrument im Bereich der Ernährungserziehung darstellt, das allen öffentlichen Bildungseinrichtungen der Romandie zur Verfügung steht.
Ein Netzwerk zum Teilen und ein Gesetz, um zur Tat zu schreiten
Aufgrund all dieser Initiativen und Innovationen lanciert der Verein „Ville du Goût“ derzeit die „Académie du Goût“, um den GenussStädten die Möglichkeit zu geben, ihr Wissen, ihre Instrumente und ihre Erfahrungen auszutauschen, damit, wie wir bei agrarinfo.ch oft wiederholen, „das Rad nicht neu erfunden werden muss“. In der Tat haben sich zahlreiche Werkzeuge, wie einige der oben genannten, bewährt und sind heute sogar in den Lehrmitteln der öffentlichen Schulen verankert: In der Westschweiz spricht man von den „Moyens d’Étude Romand“ (MER), die im „Plan d’Etude Romand“ (PER) zur Verfügung stehen. Die Swiss Food Academy versucht beispielsweise, ihre Lehrmittel für den Einsatz in öffentlichen Schulen zu validieren, wie es auch Senso5 getan hat. Biovison und sein mobiler Laden Clever hätten ebenfalls gute Chancen, in Schulen populär gemacht zu werden.
Im Januar 2023 kam der Bericht des Genfer Rechnungshofs in seinen Empfehlungen zu dem Schluss, dass eine der obersten Prioritäten für die Grundbildung der Bevölkerung die Einführung von Ernährungserziehung in der Schule ist. In Genf liegt es immer noch im Ermessen der Lehrkräfte, ob Zeit in die Ernährungserziehung investiert wird oder nicht. Der Bericht legt fest, dass die Grundausbildung der Grundschullehrer*innen überarbeitet werden muss, um die Umsetzung des Westschweizer Lehrplans zu ermöglichen, der zudem das Fach Ernährungserziehung auf der Ebene der Zyklen 1, 2 und 3 umfasst. Wie können diese Empfehlungen zu einer Verpflichtung für die Lehrkräfte werden? Die Verankerung des Rechts auf angemessene Ernährung in der Verfassung wird in der Republik und Kanton Genf die Debatte voranbringen und vor allem die betroffenen Beteiligten zum Handeln bewegen.
In der Zwischenzeit machen die GenussStädte weiterhin von sich reden und setzen sich für eine gesündere und nachhaltigere Ernährung ein. Wir sehen uns in Freiburg und entdecken dort weit mehr als nur Meringue mit Doppelrahm!
Links
Genfer Rechnungshof – Bericht auf französisch
Recht auf Ernährung für alle in der Republik und Kanton Genf:
Bericht auf französisch
Pressemitteiling auf französisch
GenussStädte:
GenussStadt Freiburg – Aktivitäten
Charta für eine nachhaltige Ernährung in Morges – Charta
Charta für eine nachhaltige Ernährung in Genf – Charta
Onex GenussStadt – Bericht auf französisch
Hilfsmittel für die Ernährungserziehung:
Senso 5
Slow Mobil
Swiss Food Academy
Promotion Santé Valais
Genève Région Terre d’Avenir (GRTA Label) – Sensibilisierung
Plan für nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung in Lausanne – Broschüre
Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) – Das Portal
Westschweizer Lehrplan – Fach Ernährungserziehung
Hilfsmittel für die Ernährungserziehung in der Region Zürich:
Gemüse Ackerdemie Schweiz
Greentopf und Klimatopf